Das Evangelische Wort

Sonntag, 22. 12. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Bischof Herwig Sturm (Wien)

 

Zu Weihnachten werden Menschen auffällig: Sie schreiben Karten und Briefe an entfernte Verwandte und Freunde. Sie zerbrechen sich den Kopf, wie sie anderen Menschen eine Freude machen und was sie ihnen schenken könnten. Sie schmücken Wohnungen und Straßen und wünschen einander Gutes.

Und wer gar nichts von alledem tut, geht doch unter Lichterketten und zwischen Weihnachtsbäumen durch die Stadt.

Der Grund für dieses Verhalten liegt so weit weg, dass keiner von uns dabei war, auch die Ältesten nicht, und trotzdem wirkt die Erzählung von der Geburt des Heilands und Retters noch heute und löst Sehnsüchte und Kräfte aus.

Diese wunderbare Verwandlung kippt allerdings oft in ihr Gegenteil um und die stillste Zeit im Jahr wird für Viele die am meisten belastende Zeit. Sie merken: Das Fest des Schenkens und „Beschenktwerden“ kostet Geld und Zeit, und werden hektisch und nervös. Sie merken: Der angesagten Fröhlichkeit fehlt der Grund, und werden depressiv. Sie spüren die großen Erwartungen und erleben zugleich besonders tiefe Enttäuschungen. Es ist, als würde der böse König Herodes heute wieder versuchen, das Kindlein zu töten; aber heute gibt es keine Flucht für die heilige Familie.

Oder doch? Ich selbst habe schon immer beide Seiten von Weihnachten erlebt. Die hektische, die belastende, die überfordernde Seite besonders stark, vielleicht deshalb weil ich in einem Pfarrhaus aufgewachsen bin.

Ich habe schon oft versucht, irgendwie dieser Kehrseite des Festes zu entfliehen.

Ich habe als junger Pfarrer auf dem Hauptplatz von Lienz Zettel verteilt mit dem Inhalt: Geben Sie Ihr Geld nicht aus für Geschenke, die keiner braucht; spenden Sie für Menschen, denen das Allernotwendigste fehlt. Ich habe es aufgegeben, Weihnachtskarten zu schreiben, nachdem das in die Hunderte gegangen ist. Wir haben in der Familie beschlossen, einander nichts mehr zu schenken und haben uns davon mehr Ruhe und Frieden erhofft; aber es funktioniert nicht, zumindest nicht bei uns. Irgendeine Ausnahme macht doch jeder und plötzlich schaut man sich an und kauft doch noch was noch dazu im letzen Augenblick. Wo es auch wirklich nichts mehr zu finden gibt, mit der Wut der Verzweiflung und Selbstvorwürfen und Zorn.

Heute versuche ich nicht mehr, dem Fest zu entfliehen, ich versuche nicht mehr die Weihnachtswelt zu verändern; aber ich versuche zu verhindern, dass das Fest zur Qual wird, indem ich von Anfang an beide Seiten des Festes annehme.

Ich freue mich über die mit Lichterketten geschmückten Bäume und Balkone, wenn es so früh finster wird, ich freue mich über gute Ideen und Aktionen wie z.B. am 2. Advent, als am Ende eines Seminars unsere Kirche, eine Frau gesagt hat: „Jetzt muss ich aber nach Hause zum Adventsingen.“ „Aha“ habe ich gesagt, „großes Konzert, Krippenspiel, Karl Waggerl und so“. „Nein“, hat sie gesagt, „wir singen Adventlieder, einfach für uns“.

Dieses Jahr freuen wir uns besonders auf Weihnachten, weil unser Sohn mit seiner Familie aus Amerika auf Besuch kommt. Da macht es auch mir nichts aus, ein oder zwei Festessen zu planen und dafür einkaufen zu gehen.

 

Was mich am Weihnachtsfest besonders fasziniert, dass ist der Mut zum Ungewöhnlichen: Selbst Hand anlegen zur Verwandlung unserer Welt, Überraschungen bereiten und gute Wünsche denken – das sollten wir uns nicht nehmen lassen. Das hilfreiche Wort, die überraschende Zuwendung, die Erfahrung des Lebens als Geschenk täte uns alle Tage gut.

 

Eine große Hilfe auf dem Weg zu diesem Ungewöhnlichen ist mir nach wie vor mir der Gottesdienst. Da stimmen dann auch die alten Lieder: „Es kommt ein Schiff geladen bis an sein höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewiges Wort.

Dann ergreifen mich die alten Verheißungen und schenken mir Kraft:

„Mache dich auf, werde Licht denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herren geht auf über dir.“

Dann begreife ich, Herodes hat ihn doch nicht erwischt, Christus der Retter ist da.