Das Evangelische Wort

Sonntag, 29. 12. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Mag. Renate Rampler

 

Still ist es heute. Die Weihnachtslieder vom Endlosband sind verstummt. Von den Silvester – Krachern ist noch nichts zu hören. Zumindest nicht um diese Uhrzeit. Für mich sind diese Tage, Ende Dezember, Tage zum Atemholen. Sie sind Tage zwischen der Zeit. Das alte Jahr ist schon so gut wie vorbei. Das neue Jahr hat noch nicht wirklich begonnen. So habe ich Zeit zum Nachdenken und zum Bilanzziehen, zum Planen und zum Träumen. Was ist geglückt, was hat sich bewährt. Wo ist es nötig, neue Schwerpunkte zu setzen, was hat sich totgelaufen? Dieses Jahr mit allen seinen Höhen und Tiefen, mit der Sorge und der Sehnsucht, die es getragen hat, ist nicht spurlos an mir vorübergegangen. Und manchmal, da habe ich mir gewünscht, die Zeit würde stillstehen – oder ich könnte sie ein Stück zurückdrehen und irgendetwas noch einmal von vorne anfangen. Aber das funktioniert nicht. Die Zeit läuft und ich muss schauen, wie ich mit ihr Schritt halte. Viel zu oft höre ich das Jammern – und stimme auch selbst ein – dass für gar nichts mehr Zeit bleibt.

Und doch ist Zeit da.

Der Prediger schreibt im dritten Kapitel seines Buches:

„Alles hat seine Zeit und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; … lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. … Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in der Menschen Herz gelegt.“

 

Diese Worte tun mir gut. In der Hektik und der Atemlosigkeit unserer Tage machen sie mir Mut. Alles hat seine Zeit. Auch mein Leben. Ich muss nicht krampfhaft versuchen meine Tage und meinen Terminkalender zu füllen. Ich muss auch nicht das Gewicht der Zeit verteilen – bis es mich erdrückt. Ich muss nicht urteilen, was es wert ist, dass man Zeit dafür aufwendet und was nicht. Der Kinobesuch mit Freunden, die Arbeit, die Stunden, die ich für mich allein habe, die Feste und auch die Trauer: Alles hat seine Zeit. Alles hat seinen Platz und seinen Sinn in meinem Leben.

Und darüber hinaus kann ich in die Zukunft schauen. Ich kann darauf vertrauen, dass sogar das, was ich in der mir gegebenen Zeit nicht vollbringe, bei Gott zu einem guten Ende kommt. Das entlastet mich. Das schenkt mir Freiraum. Ich kann mich ein Bisschen zurücknehmen. Ich brauche mich nicht ganz so wichtig zu nehmen. Auch wenn mir die Zeit manchmal davonzulaufen scheint: Jeder Tag ist ein neues Geschenk an mich, genauso wie an jeden anderen auch. Jeder Tag trägt in sich die Möglichkeit zu vielen Begegnungen. Jeder Tag ist voller Herausforderungen, voller Spannung und auch mit Zeiten der Entspannung. Und: An jedem Tag sind mir vierundzwanzig Stunden gegeben. Nicht mehr und nicht weniger.

 

Wenn ich jetzt „gute Vorsätze“ für das Neue Jahr fassen sollte, dann müsste einer davon lauten: „Ich möchte lernen, die Zeit als ein Geschenk zu betrachten, damit sie mir weder unter den Händen zerrinnt, noch von mir totgeschlagen wird.“ Ich möchte mir selbst und anderen Zeit lassen. Zeit zum Leben, Zeit zum Lachen und Weinen, zum Tanzen und zum Arbeiten. Denn „alles hat seine Zeit, jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Und Gott hat auch die Ewigkeit in unser Herz gelegt“.