Das Evangelische Wort

Sonntag, 05. 01. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

von Bischof Herwig Sturm (Wien)

 

„Ein Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an.“

 

Das neue Jahr ist noch jung. Die Blätter des Kalenders sind noch unberührt und offen für die vielen Möglichkeiten des Lebens. Ich finde den Jahreswechsel eine geniale Erfindung. Normalerweise wird das Neue langsam alt, mit dem Jahreswechsel wird das Alte plötzlich neu.

Darin kommt eine tiefe Gotteserkenntnis zum Ausdruck, nämlich dass Gott ein Gott der Zukunft ist, dass er die Welt und die Geschichte auf ein Ziel hin lenkt. Das Zählen der Jahre zeigt, wir sind nach unserem christlichen Glauben und Weltbild nicht einfach eingespannt in einer Tretmühle, wo sich immer wieder alles wiederholt, sondern wir sind ausgerichtet auf ein Ziel dem wir Jahr um Jahr näher kommen.

Die Jahreslosung dieses Jahres entstammt der wunderschönen Geschichte wie David König wurde. Aus dem 1. Buch Samuels aus dem Alten Testament.

Der Prophet Samuel soll gehen um Israel einen neuen König zu salben; Gott sendet ihn nach Bethlehem zu Isai. Der hat neun Söhne und er holt zuerst den ältesten und größten, aber der ist es nicht, dann den nächsten und so weiter, bis der Prophet Samuel sagt: „Habt ihr den keinen Sohn mehr?“ Isai sag dann: „Oh ja, den Jüngsten, David, den Hirten, der sitzt bei den Schafen und spielt auf der Flöte.“

Den salbt Samuel zum König und dazu heißt es: „Ein Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an.“

Ich finde das ein sehr schönes, ein sehr mutiges Wort, vielleicht steckt auch in mir ein König oder eine Königin. Die Anderen sehen mich nur von außen, Gott weiß wer ich wirklich bin.

Das hat allerdings auch eine Kehrseite. „Des Menschen Herz ist ein trotziges und verzagtes Ding“, heißt es in einer anderen Stelle der Bibel und wir merken ja täglich wie viel Bosheit und Zerstörung Menschen sich gegenseitig und dieser Erde anrichten. Das Herz ist darum auch das Organ der Selbsterkenntnis und der Ort der Umkehr, der Erneuerung.

Gott aber sieht das Herz an, heißt für mich, es gibt eine echte Chance zur Veränderung des Menschen, zum Lernen und zum Wachsen. Die Taufe ist so etwas wie eine Salbung zum König, der Zuspruch, das Gott mein Herz anrührt und mein Leben verwandelt.

Der Jahreswechsel hat eine besondere Dynamik, er löst etwas aus, Lebensfreude die in überschäumenden Festen zum Ausdruck kommt. Der Alltag fällt einmal ab und man schaut zurück in die Höhen und Tiefen des vergangenen Jahres und man schaut voraus was wohl auf uns zukommen wird. In diesem Jahr ist wohl das Thema Europa ein Schwerpunkt dieses Friedensprojektes. Das zusammenwachsende Europa, die Grenzen die sich öffnen, die Menschen denen wir viel leichter begegnen.

Christliche Kirchen begehen das Jahr der Bibel, ein neues und gemeinsames Bemühen um das Verstehen des Wortes Gottes und um das Gestalten der Welt nach seiner Verheißung und seinem Gebot. Unsere Synode hat das Kinderoffene Abendmahl beschlossen und nun schauen die einzelnen Gemeinden nach Modellen und Wegen, wie die Gottesdienste offen und gastlich gefeiert werden können, dass sich auch Kinder darin wohlfühlen und verstehen, dass Jesus Christus uns seinen Tisch des Teilens und der Versöhnung bereitet.

Der LWB veranstaltet die 10. Vollversammlung unter dem Titel „Von der Heilung der Welt“ und ladet dazu weltweit Vertreter der Lutherischen Kirchen ein, um miteinander zu beraten was Christen zur Heilung der Welt beitragen können, etwa unter dem Stichwort „Globalisierung der Solidarität“.

Ein Mensch sieht was vor Augen ist, das ist unser Leben, unser Alltagsgeschäft, unsere Aufgaben, unser Glück und unser Scheitern.

Gott aber sieht das Herz an, das neue Jahr hat den Flair des Unbekannten, den Reiz des Unbetretenen Landes, das neue Jahr erinnert uns daran wie geheimnisvoll und faszinierend das Leben doch ist. Der Blick Gottes geht in die Tiefe bis ins Herz. Sein Anschauen macht, dass ich einen Namen habe, dass meine Geschichte ein Ziel hat, dass ich jetzt, heute und morgen zuversichtlich und mutig tun kann was vor Augen ist.

Gott sieht das Herz an, wir haben eine gute Zukunft.