Das Evangelische Wort

Sonntag, 12. 01. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Pfarrer Dr. Christoph Weist (Wien)

 

Das Wetter spielt verrückt. Um das zu hören, braucht man nicht nur Hochwassergeschädigte oder Manager von Schihotels zu fragen. Alle bemerken das so oder so. Und alle bemerken so oder so, dass auch anderes verrückt spielt, zumindest dass es weit weg gerückt ist von seinem gewohnten Platz.

 

Damit meine ich nicht allein jenen wissenschaftlichen Ehrgeiz, der keine Grenzen mehr kennt und tief in die Schöpfung eingreift. Auch in der Welt der Arbeit und des Berufs ist kein Stein auf dem andern geblieben. Der Slogan „Lebenslang lernen" zum Beispiel bedeutet Anstrengung, er bedeutet aber nicht Sicherheit. Und der: private Bereich? Die "klassische" Familie ist zu einem Modell neben anderen Formen des Zusammenlebens geworden, man mag das bedauern oder nicht. Nichts scheint so zu bleiben, wie es einmal war.

 

Es ist keine bloße Redensart: Wir leben in einer Welt des Umbruchs. Und es ist ein so tief greifender und schneller Umbruch, wie es ihn bisher wohl kaum gegeben hat. Und viele fühlen sich allein gelassen:

 

Daher reagieren sie auf ihre Art. Verzweifelt stemmen sie sich gegen das Neue, oder sie werfen sich ihm begeistert in die Arme.

Das ist weder Klage noch Kritik vom hohen Thron einer abgehobenen kirchlichen Weisheit. Denn natürlich ist auch eine Kirche, wie die Evangelische, von dem großen Umbruch nicht ausgenommen. Jeder kann es sehen: Nicht nur dass Pfarrfamilien oftmals anders „funktionieren" als erwartet, auch die Arbeit der Pfarrerin oder des Pfarrers hat andere Schwerpunkte als seit Jahrhunderten gewohnt. Die ganze Kirche wandelt sich. Stand einmal allein das „Seelenheil" des Einzelnen im Mittelpunkt, ist es heute die soziale Verantwortung, das Achten auf Seele und Leib. Und weltweit begegnet christlicher Glaube anderen großen Religionen, wie etwa dem Islam. Hier wird sich eine Kirche ganz neu behaupten müssen, und zwar ohne selbst Feuer und Schwert zu gebrauchen. Und ich bin sicher, sie kann es.

 

Ja ich bin sicher. Das, was christlichen Glauben ausmacht, kann auch ein Umbruch nicht zerbrechen. Denn das, was christlichen Glauben ausmacht, ist eben nicht das Feste, Eherne, Starre. Auch wenn viele Menschen sich das wünschen, wie etwa der Dichter eines Kirchenliedes, der schreibt: "...ich weiß, was fest besteht, wenn alles hier im Staube wie Sand und Staub verweht, ich weiß, was ewig bleibt, wo alles wankt und fällt..." Das sind imponierende Worte, nur eines haben sie vergessen: Die ganze Bibel zeigt, Gott ist ein Gott der Geschichte. Jeder Teil dieses erstaunlichen Buches, vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten bis zu den Briefen des Paulus, der seine neue Botschaft unermüdlich in neue Umgebung bringt, ist ein Beweis dafür. Jede Seite dieses Spitzenwerkes der Weltliteratur, das übrigens im Mittelpunkt des Jahres 2003 stehen soll, spricht davon:

 

Gott ist ein Gott der Veränderung, ja auch des Umbruchs. Er: ist kein starrer, toter, sondern ein lebendiger Gott. Und darum kann er seine Menschen begleiten durch allen Wandel und durch alles Anderswerden. Und darum bietet auch das Neue und Andere Chancen und muss keineswegs eine Wende zum Schlechteren sein, auch in dieser Zeit. Ich glaub's jedenfalls. Und ich denke nicht, dass ich naiv bin. Die lebendige Treue Gottes - in Wirklichkeit ist es das, "was ewig bleibet, wo alles wankt und fällt". Niemand ist allein gelassen beim großen Umbruch.