Das Evangelische WortSonntag, 23. 02. 2003, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Pfr. Renate Rampler aus Agoritschach-Arnoldstein, Kärnten Wer
nichts zu sagen hat, dem fallen oft die treffendsten Geschichten
ein. So geht es zumindest Jotham, aus der Sippe des Gideon. Gerade
hat er erfahren, dass einer seiner Verwandten kurzen Prozess gemacht
hat. Durch ein Gemetzel unter den siebzig potentiellen Thronanwärtern
hat er die Königsfrage gelöst und für sich entschieden. Seinen
schlagenden Argumenten ist einfach nichts entgegen zu setzen. Nur
der junge Jotham ist – wie durch ein Wunder – verschont
geblieben. Der neue König muss sich wohl beim Hinschlachten verzählt
haben. Eigentlich sollte Jotham jetzt verschwinden. Bloß kein
Aufsehen erregen. Vielleicht kann er ja im Ausland einen
Unterschlupf finden. Aber vorher muss er noch etwas los werden.
Einmal will er noch gehört werden, sogar auf die Gefahr hin, dass
das das Letzte ist, was er sagt. Er ruft noch einmal die Bewohner
seiner Stadt zusammen und erzählt eine kleine, bissige Geschichte:
Einst
kamen die Bäume zusammen, um sich einen König zu wählen. Sie
sagten zum Ölbaum: „Sei du unser König!“ Aber der Ölbaum
erwiderte: „Soll ich vielleicht aufhören, kostbares Öl zu
spenden, mit dem Götter und Menschen geehrt werden? Soll ich über
den Bäumen thronen?“ Da sagten die Bäume zum Feigenbaum: „Sei
du unser König!“ Doch der Feigenbaum erwiderte: „Soll ich
vielleicht aufhören, süße Feigen zu tragen? Soll ich über den Bäumen
thronen?“ Da sagten die Bäume zum Weinstock: „Sei du unser König!“
Doch der erwiderte: „Soll ich aufhören, Wein zu spenden, der Götter
und Menschen erfreut? Soll ich über den Bäumen thronen?“ Schließlich
sagten sie zum Dornstrauch: „Sei du unser König!“ Und der
Dornstrauch erwiderte: „Wenn ihr mich wirklich zum König machen
wollt, dann bückt euch und sucht Schutz unter meinem Schatten.
Sonst wird Feuer von meinen Dornen ausgehen, das sogar die Zedern
des Libanon verbrennt.“ (Ri. 9. 7-15) Es
ist schon so, dass wir ohne „Obrigkeit“, wie immer die auch
ausschauen mag, schwer zurecht kommen. Es muss Regeln geben, wenn
Menschen sinnvoll und in Frieden mit einander leben wollen. Und
irgendwer muss auch gewährleisten, dass diese Regeln eingehalten
werden. Das gilt für die Familie in gleicher Weise wie für einen
Staat, einen Staatenbund oder auch weltweit. Da wie dort geht es oft
nicht ohne Kompromisse ab. Da wie dort kann keiner nur auf sein
eigenes Wohl schauen. Da wie dort müssen Abstriche gemacht, muss
verhandelt werden. Egal, ob es um Erdöl geht oder um Bomben, um die
Transitfrage oder um die Zinsen, um das Urlaubsziel oder um die neue
Einrichtung. Mit der Zeit kriegt man es ja auch meist heraus, wie
man den Partner überzeugen kann und was man selbst an Gegenleistung
erbringen muss. Das funktioniert beim Feilschen um ein höheres
Taschengeld im Prinzip nicht anders, als bei großen Gesetzesentwürfen
oder weltumspannenden Friedensplänen. Schlimm
ist es nur, wenn sich ein Kompromiss, wie es bei Jotham und seinen
Zeitgenossen geschehen ist, nur auf das Recht des Stärkeren stützt.
Und das vielleicht auch noch, weil sich alle anderen zu gut sind,
sich selbst mit der Arbeit die Finger schmutzig zu machen. Wenn es
darum geht, für ein gelingendes Zusammenleben zu sorgen, dann kann
sich keiner zurückziehen. Dann ist jeder und jede gefragt. Jeder
und jede mit den ureigenen Gaben und Erfahrungen, die es
einzubringen gilt. Und
noch etwas kann helfen, eine gemeinsame Basis zu finden: Jotham
verweist sein Volk darauf, dass kein Mensch das Recht hat, über
andere zu herrschen, weil alle sich in gleicher Weise vor Gott
verantworten müssen. Diese „oberste Instanz“ kann uns auch
heute helfen, manche zerstörerischen Machtgelüste und
Allmachtsfantasien wieder zu „erden“ und sie in eine schöpferische
und lebensspendende Kraft zu verwandeln. Für uns alle.
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