Das Evangelische Wort

Sonntag, 26. 01. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Mag. Gisela Ebmer (Wien)

 

Aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 25:

„Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben.“

 

Afrika. Wüste. 45 Grad Celsius. Kein Schatten. Nur der Sandsturm verdunkelt ein wenig die Sonne. Sand in den Augen, Sand in der Nase, im Mund. Er knirscht zwischen den Zähnen. Das Gewand klebt an deinem Körper. Rundherum Felsen, Steine, Sand. Sonst nichts. Deine Schleimhäute trocknen aus. Trockene Lippen, trockener Mund, trockener Hals. Der Durst brennt hinunter bis in den Magen, die Nieren. Dein Wasserkanister ist leer. Du brauchst dringend Wasser, aber du weißt nicht, wo der nächste Brunnen ist. Du willst in die Stadt, aber die ist noch weit.

 

Zwei Jeeps fahren durch die Wüste. Es sind Österreicher. Sechs Männer gemeinsam unterwegs um die Wüste zu entdecken. Die Autos groß und beständig. Jedes mit zwei Reservereifen, jedes mit Wüstenblechen um aus einem Sandloch wieder herauszukommen. Jeder Jeep hat 170 Liter Wasser an Bord, dazu noch Bier, Saft und Wein. Beide Wagen haben Essensversorgung mit. Konserven für fünf Wochen Verpflegung. Richtige Menüs mit Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise. Man will nicht angewiesen sein auf afrikanische Nahrung, zu riskant ist es, durch irgendwelche Bakterien krank zu werden. Auf den Märkten kauft man nur sichere Nahrung. Melonen, da kann nichts passieren. Man hat für alles vorgesorgt. Schließlich will man ja wieder gesund und sicher zur eigenen Familie nach Hause kommen.

Die Männer im Jeep sehen den Mann am Straßenrand. Er winkt mit dem leeren Kanister. In der Wüste gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Wenn dich jemand um Wasser bittet, dann gib es ihm. Verdursten lässt man niemanden. Nicht einmal seinen Feind. Die Männer im Jeep sehen den Mann am Straßenrand. Sie verlangsamen nicht ihr Tempo. Sie sehen ihn nicht an. Sie fahren an ihm vorbei. Zu groß ist die Angst, überfallen zu werden, ausgeraubt dazustehen, ohne Auto, ohne Pass, ohne Wasser, ohne Nahrung. Schon zu oft sind moderne Wüstenkarawanen Opfer geworden. Haben die Falle nicht durchschaut. Wollten hilfsbereit sein. Hinter der nächsten Düne standen die bewaffneten Komplizen des Mannes, der so großen Durst hatte.

 

Österreich. Steiermark. Jänner 2003. Eine wenig befahrene Straße. Schneefahrbahn. Minus 15 Grad Celsius. Du bist alleine mit dem Auto unterwegs ins nächste Dorf. Es liegt zwanzig Kilometer entfernt. Plötzlich will dein Auto nicht mehr. Du weißt nicht, was los ist. Die heutigen Autos sind zu kompliziert. Dein Handy liegt zuhause. Trotz der eisigen Kälte steigst du aus. Wickelst dich in deinen Schal, ziehst die Haube tief ins Gesicht. Hoffst, dass bald jemand vorbeikommt, der dir helfen kann, oder Hilfe holt. Da kommt endlich ein Auto. Du winkst und freust dich. Es verlangsamt nicht sein Tempo. Der Fahrer schaut an dir vorbei. Er fährt ungebremst weiter. Verzweiflung steigt in dir hoch.

Ein paar Kilometer weiter werden alle Autos von der Polizei aufgehalten. Es war ein Test. Gefilmt vom ORF. Die Situation war gestellt und die Fahrer werden befragt, warum sie nicht stehen geblieben sind, nicht geholfen haben.

Ich selber wäre wahrscheinlich auch nicht stehen geblieben, muss ich ganz ehrlich zugeben. Zu oft hat man mir eingeredet, als Frau, noch dazu alleine unterwegs, musst du aufpassen. So leicht kannst du überfallen, vergewaltigt, ausgeraubt werden.

Und dann höre ich die Worte Jesu:

„Ich bin hungrig gewesen, und du hast mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und du hast mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin in Not gewesen, und du hast mir nicht geholfen.“