Das Evangelische Wort

Sonntag, 16. 03. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Pfarrer Michael Chalupka (Wien)

 

Unser Herz ist nicht abgefallen noch unser Schritt gewichen von deinem Weg, dass du uns so zerschlägst am Ort der Schakale und bedeckst uns mit Finsternis. Wache auf, Herr! Warum schläfst du? Werde wach und verstoß uns nicht für immer!

(Ps 44, 19ff.)

 

Es ist nun mehr als eine Woche her, dass der Bus vor dem Flüchtlingslager Traiskirchen stehen geblieben ist und 45 Menschen aussteigen hat lassen. Frauen, Männer und Kinder. In der Zeitung standen keine Namen. Der Bus kam aus Kärnten. Das Bundesministerium für Inneres hatte die Zahlungen für Unterkunft und Verpflegung der Flüchtlingsfamilien eingestellt, das Land Kärnten fühlte sich nicht verpflichtet, es charterte einen Bus und brachte die Leute nach Traiskirchen. Keiner ist zuständig. Die Menschen hatten monatelang, manche schon Jahre in Kärnten gelebt und auf den Ausgang ihres Asylverfahrens gewartet, die Mühlen der Behörden mahlen langsam, aber sie mahlen fein. Kinder sind in die Schule gegangen, traumatisierte Erwachsene wurde in Klagenfurt psychotherapeutisch betreut, bis der Bus vorgefahren kam und sie wieder nur „Asylanten“ waren, Namen wurden keine genannt.

 

Der 15 jährige „Armen“ fehlte am nächsten Tag in der Schule. Sein Platz blieb leer. Seine Mutter Margarita T. saß neben ihm im Bus, die 16 Monate alte Susanna, die schon in Klagenfurt geboren worden ist, im Arm.

Vor mir liegt ein Brief von Margarita T, eigenhändig geschrieben, in Deutsch, der Sprache, die sie sich in wenigen Monaten angeeignet hatte, um das Überleben für sich und ihre Kinder zu sichern.

 

Margarita T. soll eine Stimme erhalten, denn es sind Menschen mit Geschichten und Schicksalen, die wie Pakete in Postbussen durch unser Land gekarrt werden.

 

Sie schrieb an einen von dem sie sich Hilfe erwartete: „Beachtenswerter Herr... ! Wir schreiben Ihnen mit großer Hoffnung und tiefem Glauben. Flüchtling T. Margarita. Ich kann sehr gut verstehen, dass es Ihnen sehr schwer ist in Bundes..., viel Arbeit und keine Zeit unsere Asylbewerbung zu sehen, aber ich glaube, dass vielleicht, mit Gottes Hilfe, werden sie Zeit finden, wenigstens meinen Brief zu lesen und, wenn er berührt ihr Herz, Ihre Gefühle der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, dann bitte helfen sie mir und meinen Kindern.

 

Frau T. beschreibt dann weiter, wie sie Zeugin eines politisch motivierten Mordes wurde und sich bedroht und verfolgt fühlte, um schließlich schon schwanger den einzigen Ausweg in der Flucht zu sehen.

 

Über ihr Erfahrungen in Österreich schreibt Margarita T.: „Über mein Problem habe ich beim Interview in Graz erzählt. Leider von Anfang an ging der Mann mit meinem Problem skeptisch um. Z.B. das, dass er am Anfang hat mich gewarnt, dass dort kein Theater sei, und dass ich nicht eine Rolle vor ihm spielen solle. Wie konnte ich dann diesem Mann vertrauen.“

 

Der Bescheid der Bundesasylbehörde in erster Instanz war negativ. Frau T. hat gegen den Bescheid berufen. Doch in Kärnten war kein Bleiben mehr, sie wurde in den Bus gesetzt, in der Folge droht die Obdachlosigkeit und dann die Abschiebung zurück nach Armenien.

Margarita hat Angst. „ Ich habe vor zwei Tagen einen Schlaf gesehen, in dem ich meine Kinder verloren hatte. Meinen Sohn habe ich lange gesucht, aber nicht gefunden, und meine Tochter habe ich auch lange gesucht, danach hatte ich weinen gehört von meiner Tochter und immer lauter und lauter, ich ging diesen Schreien nach, damit ich meine Tochter finde und wenn ihr Weinen laut war, so nah, dass ich sie klar hören konnte, habe ich auf dem Boden unter den Treppen einige Schakale gesehen, die ihre Zähne zeigten und laut lachten, und Lachen vom Blut waren auf dem Boden und ich, wie mit dem Blitz berührte Gedanke, dass das meine Tochter sei. In Angst bin ich aufgewacht und bis heute nachts weine ich und kann nicht schlafen von diesem Gedanken. Bitte lassen sie nicht zu, dass dieser Gedanke wahr wird.“

 

Margarita T. ihr Sohn Armen und Susanna, die Kleine, waren drei von 45 im Bus, sie sind drei von hunderten Asylwerbern, denen droht auf die Straße gestellt zu werden, weil sie aus dem falschen Land geflohen sind. Aber „Österreich ist ein Asylland“ wird immer wieder mit einem Lächeln gesagt. Und die Schakale lachen.