Das Evangelische Wort

Sonntag, 23. 03. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Oberkirchenrat Dr. Michael Bünker (Wien)

 

Aus dem Buch des Propheten Jeremia: „Und es geschah des Herrn Wort zu mir: Jeremia, was siehst du? Ich sprach: Ich sehe einen erwachenden Zweig. Und der Herr sprach zu mir. Du hast recht gesehen, denn ich will wachen über meinem Wort, dass ich’s tue.“

Der Frühling beginnt heuer mit Krieg. Statt dem Erwachen der Natur zu neuem Wachsen, neuer Blüte, ja neuem Leben, dominiert in diesen Tagen das Erwachen von Vernichtung, Zerstörung und Tod. Was wird aus den Menschen im Irak? Welche Folgen hat der Krieg für die Menschen in diesem Land, für die Region, ja für die ganze Welt? Gibt es einen Frühling im Schatten des Krieges?

 

Im Frühling des Jahres 1942 schaut Fritz Rosenthal aus dem Fenster seines Arbeitszimmers in Jerusalem. Fritz Rosenthal, 1913 in München geboren, wurde von den Nazis aus seiner Heimat vertrieben. Er ließ sich in Jerusalem nieder. Weil sein Vorname Friedrich etwas mit dem Frieden zu tun hat, nannte er sich ab jetzt Schalom und Ben – Kind – Chorin, also Kind der Freiheit. „Frieden, das Kind der Freiheit“ – der Name ist Programm.

 

Da sieht er vor dem Fenster einen blühenden Mandelbaum. Woran mag jemand denken in Jerusalem im Frühjahr 1942 im Anblick eines blühenden Mandelbaumes? Denkt er an die scheinbare Unbesiegbarkeit der Nazi? An den Krieg, der schon drei Jahre wütet und der immer näher rückt? An das schlimme Schicksal der Menschen überall dort, wo der Krieg hinkam, vor allem für Jüdinnen und Juden.

 

Vielleicht hat er an all das gedacht, auf jeden Fall denkt er an sein Buch, die Thora, die Schriften, die Propheten. Und dann - so schreibt er später – liest er jene Stelle beim Propheten Jeremia. Dort ist zuerst die Rede von einem übergroßen Kessel, aus dem das Unheil über die Menschen ausgegossen wird, dass niemand sich retten mag. Tausende zerstampft der Krieg. Dann aber spricht der Prophet vom erwachende Zweig, den er sieht. Der Zweig ist ihm ein Hinweis darauf, dass Gott selbst über seinem Wort, über dem Friedenswort wacht, damit er es tut.

 

Dieser Mandelzweig mitten im Krieg hat Schalom Ben Chorin inspiriert. Seine Hoffnung hat Ausdruck gefunden in einem kurzen, einfachen Gedicht, das später auch vertont wurde. Es ist das Lied vom Mandelzweig:

 

Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,

ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?

Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit,

achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.

Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht.

Doch des Lebens Blütensieg sanft im Winde weht.

Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,

bleibe mir ein Fingerzeig, wie das Leben siegt.

 

Schalom Ben Chorin ist ein Anwalt des Friedens geworden. Bald nach dem Krieg kehrt er nach Deutschland zurück und setzt sich für die Verständigung von Juden und Christen ein.

 

So wie damals in Jerusalem werden jetzt auch im Irak die Mandeln blühen. Es gehört zum Frühling dazu. Die Mandeln blühen, wenn rundherum alles noch dürr ist. Es sind die ersten Blüten, die im Winter den beginnenden Frühling ankündigen.

 

Heute wird in den Kirchen für die Menschen im Irak gebetet werden. Sie wurden zuerst einer Diktatur ausgeliefert und jetzt einem Krieg, der ungerecht und unmoralisch ist. Können sie überhaupt einen Mandelzweig der Zukunftshoffnung sehen? Die Verantwortungslosigkeit der Betreiber des Krieges zeigt sich auch daran, dass es keine Überlegungen gibt, wie nach dem Krieg der Wiederaufbau des Landes durchgeführt werden soll. Es steht zu befürchten, dass die Menschen auch mit den katastrophalen Auswirkungen des Krieges allein gelassen werden.

Wo ist der Mandelzweig der Zukunftshoffnung?

 

Gott selbst steht dafür ein. Der Prophet sieht das kleine Zeichen, unscheinbar und wenig überzeugend. Gott nimmt das auf und verspricht: Ich selber will wachen über meinem Wort, dass ich es auch tue.

 

So besingt das kleine einfache Gedicht nicht nur die Wiederkehr des Frühlings, sondern das Vertrauen auf Gott, wenn es sein muss auch  gegen allen Augenschein.