Das Evangelische Wort

Sonntag, 13. 04. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Superintendentin Luise Müller (Salzburg)

 

Als er nahe vor der Stadt war, dort, wo man den Ölberg hinuntergeht, konnten seine Begleiter nicht mehr an sich halten: das ganze Volk fing vor Freude an, Gott zu rühmen und zu preisen, mit lauten Gesängen und mit Jubel, für all die großen Dinge, die es erlebt hatte: Gepriesen sei der König! Gepriesen sei, der von Gott kommt! Der Himmel gibt Frieden und Gottes Herrlichkeit ist über uns! Einige von der Gruppe der Pharisäer, die auch in der Menge standen, kritisierten ihn: Meister verbiete deinen Jüngern, das zu sagen! Er antwortete: ich sage euch, wenn die schweigen, schreien die Steine! (Lk. 19,37-40)

 

„Der Himmel gibt Frieden und Gottes Herrlichkeit ist über uns.“ Ein Satz, der mir momentan nicht so leicht über die Lippen kommt. Ich brauche die negativen Schlagwörter eigentlich gar nicht aufzuzählen, die derzeit Sätze von Frieden und Herrlichkeit im Keim ersticken. Unsere Aktualität wird momentan dominiert von Krieg, von Sparmaßnahmen, von Arbeitslosigkeit, von Pensionskürzungen, von Rezession. Der Zeitgeist diktiert uns den Pessimismus.

 

Der Himmel gibt Frieden und Gottes Herrlichkeit ist über uns – die, die es besser wissen, lächeln über solche begeisterten frommen Sprüche, die so gar nichts mit unserer Realität zu tun haben.

 

Laut Matthäusevangelium wird dieser Beifall laut, als Jesus in Jerusalem ankommt, kurz vor dem Fest, kurz vor seinem Tod. Die Begeisterung verstummt, so erzählt es uns die Geschichte, ganz schnell innerhalb von Tagen. Die Realität holt auch damals die Leute ein, macht sie mundtot, ängstlich, und schließlich hoffnungslos. Scheinbar war der Jubel umsonst. Scheinbar hätte den Beifall ein anderer verdient. Jesus jedenfalls stirbt. Sein Weg hat augenscheinlich nicht zum Ziel geführt.

 

Seltsamerweise verteidigt Jesus die Begeisterten. Seltsamerweise hält er sie nicht zurück, mahnt sie nicht zum Ernst angesichts der aktuellen tristen Lage, fordert sie nicht auf, genauer hinzusehen, um all das Arge, das Leben zerstörende, das Tödliche endlich wahrzunehmen, ganz im Gegenteil. Er sagt den Satz: „Wenn diese schweigen, schreien die Steine.“

Es gibt für mich eine Ebene der Wahrheit, die lässt sich nicht unterdrücken. Manchmal steht diese Wahrheit gegen das Augenscheinliche und gegen die Realität. Gegen den ganz alltäglichen Frust und gegen den lebensbestimmenden Pessimismus gibt es die Erfahrung: Der Himmel gibt Frieden und Gottes Herrlichkeit ist über uns.

 

Indem ich diese Wahrheit für mich glaube und auch in unserem derzeitigen Erfahrungskontext für sagbar erachte, will ich keineswegs zum Wegschauen animieren. Nicht zur frommen Nabelschau gegen den klaren Blick. Ich will Sie nicht auffordern, sich in sich selbst zurückzuziehen, und die böse Welt draußen zu lassen. Eher verstehe ich den Satz vom Frieden und von der Herrlichkeit als eine Ermächtigung zum Handeln, als eine Horizonterweiterung, die Gott und in der Folge auch mir mehr zutraut, als nur angstvoll auf das Grauen rings um mich zu starren.

 

Der Satz: „Der Himmel gibt Frieden und Gottes Herrlichkeit ist über uns“, ist ein Satz vom Urvertrauen. Und dieses Vertrauen ermöglicht den Blick über das Tödliche hinaus.

 

Möglicherweise hilft er auch uns durch den alltäglichen Frust und den zeitgeistigen Pessimismus hindurch zur Hoffnung auf Leben. Möglicherweise.