Das Evangelische Wort

Sonntag, 04. 05. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

Krankenhauspfarrer Bernd Hof (Innsbruck)

Gehört Gott in die Verfassung? Diese Frage wird zur Zeit in der Europäischen Union heftig diskutiert und ist auch in Österreich aufgeworfen worden. Soll in der Präambel, also im fundamentalen Vorwort zum Grundgesetz, auf Gott oder auf christliche Werte Bezug genommen werden als Grundlagen für das Zusammenleben in Europa und in unserem Land? Ich halte diese Diskussion nicht für nötig, aber doch für interessant, und ich meine: Gott gehört nicht in die Verfassung.

 

Allerdings bin ich überzeugt: Das Denken und Fühlen, das Menschenbild und das Rechtsbewusstsein sind in Europa stark von der Bibel geprägt – stärker, als es den meisten bewusst ist. Denn dass die Unterscheidung von Gut und Böse uns wichtig ist, dass jeder Mensch verantwortlich ist für sein Tun, dass es persönliche Schuld gibt und die Möglichkeit der Vergebung – diese Grundlinien unseres Menschenbildes sind keineswegs selbstverständlich, da muss man nur in andere Kulturen und Ideologien schauen. Und dass der Gegensatz zwischen Arm und Reich uns unruhig macht, dass wir so etwas wie eine instinktive Sorge für die Schwachen empfinden, Hilfsbereitschaft für Hilfsbedürftige, das hat seine Wurzeln vor allem in der Bibel Alten und Neuen Testaments.

 

Darum bin ich froh, dass sich Politiker aller Parteien zu diesen Grundsätzen des Zusammenlebens bekennen, und dass auch bei konkreten Fragen wie dem Flüchtlingsrecht oder der Fürsorge für Pflegebedürftige auf diese Grundlagen Bezug genommen wird. Denn für ein wirklich humanes Zusammenleben sind solche Grundeinstellungen unentbehrlich, meine ich.

 

Aber Haltungen und Einstellungen sind durch Gesetze nicht zu sichern, und wenn ein Bezug auf Gott oder christliche Werte in die Verfassung aufgenommen wird, ändert das nichts und bessert keinen einzigen Menschen. Aber es würde bewirken, dass sich viele Bürger nicht mit der Grundlage unseres Rechtes identifizieren könnten, weil sie sich ausgeschlossen fühlen müssten. Denn wenn christliche Werte zur Grundlage des österreichischen Rechtes erklärt würden, dann wären Juden und Muslime keine richtigen Österreicher, und Atheisten dürfte es eigentlich gar nicht geben.

 

Mich erinnert das an die unselige Zeit der Dreißigerjahre, wo es genügte, evangelisch zu werden, und schon hatte man die Geheimpolizei am Hals. Protestanten waren Staatsbürger zweiter Klasse, weil im sogenannten christlich-sozialen Ständestaat die Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit automatisch suspekt war.

 

Die religiöse und weltanschauliche Vielfalt unserer Tage hat sicher nicht nur Vorteile, und sie mag manchem Angst machen – aber sie ist nicht mehr rückgängig zu machen, und es wäre ganz fatal, dagegen Druck ausüben zu wollen, meine ich. Die Zeit ist in unseren Landen ein für alle Mal vorbei, in der eine Religion oder Konfession für alle verbindlich gemacht werden konnte. Nicht zufällig wird die Ansicht unserer Städte heute stärker von Hochhäusern als von Kirchtürmen bestimmt, und die zweitgrößte Religionsgruppe in Österreich sind nicht die Evangelischen, sondern die Konfessionslosen. Diese Tatsachen mag man bedauern, aber Recht und Gesetz haben davon auszugehen.

 

Verstehen Sie mich, bitte, nicht falsch: Mir ist das biblische Menschenbild ganz wichtig – nicht nur für mich persönlich und für die christlichen Kirchen, sondern auch für das Zusammenleben in unserem Land und in Europa. Es regt mich auf und beunruhigt mich zutiefst, wenn ich erlebe, wie verantwortungslos manche Menschen reden und leben, wie Erfolg, Karriere und Reichtum zu Göttern werden, und wie der Schutz der Armen, Schwachen und Benachteiligten für viele überhaupt kein Thema ist. Und ich frage mich: Was wird aus uns, wenn Vertrauen und Verlässlichkeit, Menschenliebe und Vergebung zu Fremdworten werden?

 

Gott erwartet von uns, dass wir diese Haltungen und Überzeugungen prägen, fördern und schützen. Da brauchen die Familien Hilfe, da müssen die Lehrerinnen und Lehrer unterstützt werden, da haben die Kirchen und die Medien eine wichtige Aufgabe, und da sind wir alle als Vorbilder gefragt. Aber in einer Verfassung des Dritten Jahrtausends ist Gott fehl am Platz, finde ich.