Das Evangelische Wort

Sonntag, 11. 05. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Pfarrer Martin Müller (Waiern, Kärnten)

 

 

MUTTER COURAGE -  eine andere Muttertagsgeschichte

  

“Ich will dich nicht verlassen. Ich will bei dir bleiben. Wohin du auch gehst, da gehe ich mit. Wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Nur der Tod wird mich und dich scheiden.” (Ruth 1,16.17)

 

Eine Frau ist nur etwas wert, wenn sie Kinder zur Welt bringt. Nein, eine Frau ist nur etwas wert, wenn sie Söhne zur Welt bringt.

 

Älteren Menschen wird eine solche Meinung – so unverständlich sie uns auch heute scheinen mag - vielleicht noch da oder dort zu Ohren gekommen sein.

 

Zur Zeit, als Ruth lebte, war es jedenfalls gängige, allgemeine Meinung. Eine Frau ist nur etwas wert, wenn sie Söhne zur Welt bringt. Und weil Ruth weder Töchter noch Söhne zur Welt gebracht hatte, war sie in den Augen der Menschen wenig wert.

 

Und ihr Schicksal sollte noch schlimmer kommen: nach 10 Ehejahren mit einem Ausländer stirbt ihr geliebter Mann. Kinderlos steht sie da. Fremd im eigenen Land. Allein mit ihrer betagten Schwiegermutter Naomi, die das Heimweh plagt.

 

Ohne soziale Absicherung, die in der damaligen Zeit die Familie übernehmen musste. Da war niemand mehr, der ihr helfend unter die Arme hätte greifen können.

 

Aber Ruth, war eine Frau des Glaubens, nicht  des Selbstmitleids.

Mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit mobilisiert sie ihre Kräfte,  nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand und übernimmt auch noch Verantwortung für andere.

 

Als hilflose Helferin lässt sie ihre betagte Schwiegermutter nicht allein, begleitet sie in deren Heimat und sagt ihr berührende Worte liebender Zuwendung:

 

“Ich will dich nicht verlassen. Ich will bei dir bleiben. Wohin du auch gehst, da gehe ich mit. Wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Nur der Tod wird mich und dich scheiden.” (Ruth 1,16.17)

 

Man beachte: Worte einer jungen Frau zu deren Schwiegermutter. Wie viel wird über Schwiegermütter gestöhnt und geätzt? Ruth und Naomi zeigen einen anderen Weg.

Und sie gehen ihren Weg unbeirrt. Es ist kein leichter Weg.

 

Es ist nicht weniger als ein harter Kampf des Überlebens, den beide Frauen zu bestehen haben.

Sie leben buchstäblich von der Hand in den Mund. Ihre Armut ist so groß, dass Ruth auf abgeernteten Feldern Ähren auflesen muss, um tägliches Brot zu gewinnen.

Ruth kämpft. Auch um ihr Recht. Und kommt zum Ziel, das ihre Not wendet.

 

Wer kann ermessen, was es bedeutet heimatlos zu sein, obdachlos, ohne Freunde, ohne Brot, ohne Respekt und Achtung, ungeschütztes Freiwild in einer Männergesellschaft?

Ohne Worte zeigt Ruth, welcher Wert in ihr liegt.

Ohne Worte zeigt Ruth, dass sich menschlicher Wert nicht an der Zahl der Kinder messen lässt, sondern an der Fähigkeit zu lieben, zu kämpfen und geliebt zu werden.

 

Heute ist Muttertag.

Ich muss gestehen, ich habe Schwierigkeiten mit der Art, wie mancherorts Muttertag gefeiert wird.

Wenn das Ideal-Bild der alles überstrahlenden Mutter aufs Podest gesetzt wird, aber Frauen abgelehnt werden, die sich ihren Platz in der Gesellschaft selber aussuchen und partnerschaftlich und ebenbürtig mitreden und mitentscheiden wollen.

Wenn Paschas sich einmal im Jahr herablassen und von ihrer charmanten, hilfsbereiten Seite zeigen.

Oder wenn Kinder mit zuckersüßen Gedichtchen sich dafür bedanken müssen, dass sie geliebt werden.

 

Da lese ich in der Bibel gern eine andere Muttertagsgeschichte, die von Ruth nämlich, die auch als kinderlose Frau Mutter war, eine Mutter Courage, die für sich und andere kämpfen konnte. Und die für mich als Beispiel dasteht für viele Frauen, Mütter mit und ohne Kindern, die in oft bedrängenden Situationen nicht den Mut verloren haben, sondern ihr Schicksal in die Hand genommen und gekämpft haben.

Dass in der Bibel Ruth zu einer Stammmutter Davids und Jesu geworden ist, macht mir deutlich: solche Frauen sind nach dem Herzen Gottes.