Das Evangelische Wort

Sonntag, 01. 06. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

von Oberkirchenrätin Dr. Hannelore Reiner

 

Eine Frau beugt sich über das Blumenkisterl auf ihrem Balkon. Sorgsam zupft sie vertrocknete Blüten und Blätter weg. Hinter ihrem Kopf wölbt sich eine Satellitenschüssel – fast wie ein Heiligenschein.

Ein junges Mädchen steht etwas abseits von den andern. Nachdenklich und ein wenig verloren wirkt der Blick. Über ihrem Haar leuchtet eine kranzförmige Neonlampe – fast wie ein Heiligenschein.

Ein junger Vater schiebt einen Kinderwagen. Das Sonnenlicht scheint durch die Baumkrone über ihm und umhüllt seinen Kopf – fast wie ein Heiligenschein.

 

Auffallend sind sie schon, diese geheimnisvollen Alltagsbilder, die auf Plakaten und Foldern für den Ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin geworben haben. Jahrelang wurde auf dieses Treffen hingearbeitet. Nun feiern katholische und evangelische Christinnen und Christen zum ersten Mal in Deutschland gemeinsam einen Kirchentag. Ein übervolles Programm wird angeboten: Begegnungen über Konfessionsgrenzen hinweg, Vorträge und Diskussionsrunden und gemeinsame gottesdienstliche Feiern in vielerlei Gestalt. Diese große ökumenische Begegnung, die am vergangenen Donnerstag begonnen hat und heute endet, steht unter dem Thema: „Ihr sollt ein Segen sein!“ Das ist ein uraltes Wort, nachzulesen in der Genesis, Kapitel 12. Dort wird es Abraham zugesagt.

 

Mit der Zusage des Segens macht sich der alte Abraham auf den Weg mit allem, was er hat, hinein in eine ungewisse Zukunft. Auch der Erste Ökumenische Kirchentag in Deutschland ist in gewisser Weise ein solches Abenteuer. Diskussionen im Vorfeld gab es genug: Wird doch ein gemeinsames Abendmahl, eine gemeinsame Eucharistie zwischen Katholiken und Protestanten und vielleicht auch noch anderen christlichen Konfessionen gefeiert? Dies obwohl alle offiziellen Stellungnahmen von seiten der Organisatoren des Kirchentags sich dagegen gewendet haben? Und vor allem auch gegen die letzte Papstenzyklika?

 

Worauf liegt Gottes Segen und wer kann für andere ein Segen sein? Die Mutigen, die einfach tun, wozu ihr Herz sie drängt, oder die Behutsamen, die auf jene Rücksicht nehmen wollen, die nicht – oder noch nicht – mitkönnen?

 

Der Segen Gottes lässt sich weder von den einen noch von den anderen festhalten oder gar pachten. Es ist wie auf den Bildern zum Kirchentag, ganz alltägliche Menschen in ganz alltäglichen Situationen werden gleichsam zu Heiligen, zu Gesegneten. Gottes Segen strömt und fließt auch an Orten und durch Menschen, wo wir zunächst nie daran denken würden, eben wann und wo er will.

 

Allerdings, ein Abraham war offen und bereit für diesen Segen. Das Gelingen des Kirchentags in Berlin hängt nach meinem Dafürhalten nicht von der gemeinsamen ökumenischen Eucharistiefeier ab. Auch nicht von deren Erlaubnis oder Nicht-Erlaubnis durch kirchliche Behörden und seien diese noch so hoch angesiedelt. Der Erste Ökumenische Kirchentag hat dann sein Ziel erreicht, wenn Menschen bereit waren und bereit sind, sich für Gottes Segen zu öffnen und diesen auch weiterfließen zu lassen - mitten im alltäglichen Leben – auch und gerade dorthin, wo schon lange nichts mehr von ihm zu spüren war.