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Das Evangelische WortSonntag, 08. 06. 2003, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Pfarrer
Olivier Dantine Es
war wohl das großartigste Bauprojekt, das sich die Menschen der
biblischen Urgeschichte nur vorstellen konnten. Ein Turm soll gebaut
werden, dessen Spitze bis in den Himmel reicht. Das Volk, das diese
Stadt und diesen Turm erbauen will, soll nie wieder vergessen
werden. Ein großes Volk, ein einiges Volk, ein starkes Volk. Alle
Menschen sprechen noch die gleiche Sprache. Ein Volk – eine
Sprache. Ich stelle mir vor, wie die Babylonier die Zuwanderer,
deren Arbeitskraft sie ja doch gebraucht haben, zu Sprachkursen in
der Landessprache verpflichtet haben. “Nur wer unsere Sprache
spricht, darf an unserem Wohlstand teilhaben.”
Wer
immer diese Geschichte vom Turmbau zu Babel erzählt und
niedergeschrieben hat, er oder sie hat sicherlich die Erfahrungen
mit den Imperien der damaligen Zeit, dem assyrischen und dem
babylonischen, verarbeitet. Diese Reiche mit ihrer aggressiven
Expansionspolitik haben unter den kleineren Völkern im vorderen
Orient immer wieder Angst und Schrecken ausgelöst. Immer wieder gab
es und gibt es den Versuch der Herstellung eines Einheitsreiches.
Der Turmbau soll das äußere Zeichen dieser imperialen Einheit
sein. Aber da greift Gott ein:
1.
Mose 11,5-8 Da
kam der HERR vom Himmel herab, um die Stadt und den Turm anzusehen,
die sie bauten. Als er alles gesehen hatte, sagte er: »Wohin wird
das noch führen? Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle
dieselbe Sprache. Wenn sie diesen Bau vollenden, wird ihnen nichts
mehr unmöglich sein. Sie werden alles ausführen, was ihnen in den
Sinn kommt.« Und dann sagte er: „Ans Werk! Wir steigen hinab und
verwirren ihre Sprache, damit niemand mehr den anderen versteht!“
So zerstreute der HERR sie über die ganze Erde und sie konnten die
Stadt nicht weiterbauen.
Gott
zerstört dieses Projekt der nationalen Einheit Aus der
Einheitssprache wird eine Sprachenvielfalt, die Völker zerstreuen
sich. Nirgends in dieser Geschichte ist aber von Strafe die Rede.
Multikulturalität und Vielsprachigkeit sind eben keine Strafe
Gottes. Gott will die Vielfalt der Völker und Kulturen und
protestiert damit gegen imperiales Einheitsstreben. Die Menschheit
hat daraus nichts gelernt. Erst im vergangenen Jahrhundert mussten
die Völker in Europa erleben, was für monströse Folgen Versuche
von “Völkischer Einheit” und “ethnischer Säuberungen”
haben.
Wie
wohltuend anders liest sich dagegen die Pfingstgeschichte. Als
Gottes Geist herabkommt mit großem Rauschen, versammeln sich Juden
und Sympathisanten der Juden, die aus aller Welt zum jüdischen
Wochenfest nach Jerusalem gekommen waren. “Sie waren ganz
verwirrt, denn jeder hörte die Versammelten, die Apostel und die
anderen, in seiner eigenen Sprache reden” Ich
stelle mir das als heilloses Durcheinander vor. So etwa stelle ich
mir das Konzert der Dolmetscher bei einer Sitzung der Europäischen
Union vor, wo heute elf und schon bald 20 Sprachen gleichzeitig
gesprochen werden. Wer sich darüber lustig macht oder die enormen
Kosten beklagt, die das Übersetzen aller Dokumente und Verordnungen
verursacht, der hat eben nicht begriffen, wie allein der noch immer
gefährdete Frieden auf unserem Kontinent erreicht werden kann.
Gerade durch Verzicht auf eine Einheitssprache und Einheitskultur. Das
ist eben auch das Pfingstwunder, das die Jünger Jesu erlebt haben:
Gottes Botschaft vom umfassenden Frieden kommt nicht in einer
Einheitssprache daher, Gottes Frieden erreicht die Welt in einem
vielstimmigen, vielsprachigen Konzert. Gottes umfassender Frieden
ist eben das Gegenprojekt gegen die Vereinheitlichung der
unterschiedlichsten Kulturen.
Das
heutige Pfingstfest ist das Geburtstagsfest der Kirche. Auch die
Kirche ist kein Projekt der Einheit, sondern der Vielfalt. Die
Trennung der Kirche in eine Vielzahl von Konfessionen ist nicht nur
eine schmerzliche Angelegenheit. Im Licht der Geschichte vom Turmbau
zu Babel und im Licht der Pfingstgeschichte: Was hindert mich daran,
die Vielfalt der christlichen Konfessionen als von Gott erwünscht
anzusehen? Gott will eben nicht einen Einheitsbrei, schon gar keine
Einfalt, er will Vielfalt. Ich stelle mir Gott vor, wie er den
unterschiedlichsten Sprachen und Liturgien zuhört. Er hört, wie er
auf so unterschiedliche Weise gelobt wird, und wie in so
unterschiedlicher Form sein Friede auf Erden verkündet wird. Und
Gott lächelt zufrieden.
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