Das Evangelische Wort

Sonntag, 15. 06. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Superintendent Paul Weiland (St. Pölten)

 

Das Erschrecken ist immer wieder groß, wenn bekannte Persönlichkeiten plötzlich aus dem Leben scheiden, wie das jüngst beim deutschen Politiker Jürgen Möllemann der Fall war. Betroffenheit macht sich breit, was auch immer wenige Minuten zuvor noch in Sitzungen oder in öffentlichen Meldungen dazu verlautbart worden ist. Das Endgültige des Todes wird greifbar, gerade angesichts offener und unerledigter Fragen.

 

Ob überhaupt und in welchem Umfang eine Klärung des Todessprunges und der dahinter stehenden Frage erreicht werden wird, kann und will ich weder beurteilen noch werten. Mein Thema ist auch nicht die Untersuchung dieser Fragen oder den vielen Mutmaßungen noch eine Weitere hinzuzufügen.

 

Mir geht es um das Leben-Können und das Sterben-Können in einer angemessenen Weise. In der Alltagssprache wird das Ableben auch umschrieben mit der Aussage „das Zeitliche segnen“. Wir sagen das oft gedankenlos dahin, aber eigentlich ist genau das der Punkt. Gelingt mir ein Leben, in dem ich sagen kann, das, was ich mache, ist gesegnet, kann ich also das Zeitliche, das Vergängliche meines Handelns und Lebens segnen und unter dem Segen stehend verstehen, dann werde ich und es werden andere Menschen das Leben mit allen seinen Höhen und Tiefen und das Sterben in einem anderen Licht sehen können.

 

Das Zeitliche segnen, das hat ganz viel mit meinem Leben zu tun. Mit meinen Einstellungen, mit meinem Umgang mit mir, mit anderen Menschen, mit der Natur. Es hat damit zu tun, ob es mir gelingt, im Alltag eine Kultur der Sprache und eine Kultur des Umgangs miteinander zu bewahren und nicht die Durchsetzung meiner Interessen als oberste Priorität zu sehen. Das Zeitliche segnen, das ist nicht nur eine Frage für Pfarrer oder gläubige Menschen, es ist die Herausforderung für Menschen schlechthin, für Politiker und Wirtschaftstreibende, Lehrer und Journalisten, Architekten und Künstler.

 

Das Zeitliche segnen, das ist Gottes Angebot an uns Menschen. Mit dem theologischen Begriff Rechtfertigung können Sie vielleicht in Verbindung mit Ihrem Leben nicht allzu viel anfangen. Aber genau das besagt er: Ich bin zurecht gemacht für das Leben. Ich bin Gott recht als Mensch, so wie ich bin. Meine Existenz ist gerechtfertigt. Mein Leben ist ein Wert an sich, gesegnet von Gott.

 

Weil ich recht bin, brauche ich mich nicht ständig zu beweisen, ständig meine Existenzberechtigung nachzuweisen. Weil ich recht bin, erdrückt mich meine Schuld nicht und die Schuld der anderen nimmt mir nicht die Luft zum Atmen. Das setzt frei zum Leben und zum Handeln.

 

Weil Gott die Menschen zurecht gemacht hat ohne jede Vorleistung, ohne jedes menschliche Zutun, aus Gnade, durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist, ist kein Leben abzuschreiben, auch wenn es nach unseren Gesichtspunkten noch so verkorkst aussieht.

 

Das ist die frohe Botschaft der Kirche. Das muss den Menschen immer wieder gesagt werden, weil sie in der Flut der Wörter immer wieder untergeht und Menschen vergessen, dass ihr Leben gesegnet ist. Das macht reich, wie es im Buch der Sprüche im Alten Testament heißt: Der Segen des Herrn allein macht reich, und nichts tut eigene Mühe hinzu.