Das Evangelische Wort

Sonntag, 29. 06. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Superintendent Manfred Sauer (Villach, Kärnten)

 

 

Ein frommer Einsiedler saß meditierend in einer Höhle. Da huschte eine Maus herein und knabberte an seiner Sandale. Der Asket öffnete verärgert die Augen: „Warum störst du mich in meiner Andacht?“

„Ich habe Hunger“, piepste die Maus.

„Geh weg, törichte Maus“, predigte der fromme Einsiedler, „ich suche die Einheit mit Gott, wie kannst du mich dabei stören?“

„Wie willst du dich mit Gott vereinigen“, fragte die Maus, „wenn du nicht einmal mit mir einig wirst?“

 

Die Ferien haben für manche schon begonnen. Die Urlaubsziele stehen fest. Die Erwartungen sind ganz individuell. Lange schlafen, lesen, die Seele baumeln lassen, einfach einmal nichts tun, oder -  Abenteuer pur, für ein paar Wochen neue Länder und Städte entdecken.

Auch Pilgerreisen sind gefragter denn je: zu Fuß den Jakobsweg gehen. Oder aufbrechen zu besonderen Orten der Kraft.

 

Urlaub: die Zeit der Sehnsucht, um eins zu werden.

Eins zu werden mit sich selber, mit der Natur, mit anderen Menschen, mit Gott.

 

Für Beziehungen und Ehen sieht das leider ganz anders aus. Statistisch gesehen gehen die meisten Ehen ausgerechnet nach einem heiß ersehnten gemeinsamen Urlaub in die Brüche. Die ersehnte Einheit führt zur Trennung. Warum?

Vielleicht, weil viel Aufgestautes und Unausgesprochenes plötzlich herausbricht.

Vielleicht, weil man spürt, wie fremd einem der andere geworden ist und das vielleicht, weil man merkt, dass der andere einen nicht wirklich versteht, dass nicht viel Gemeinsames mehr da ist.

 

Die Maus in der Geschichte hat recht. Einig zu werden ist gar nicht so leicht.

Die Maus macht deutlich: Der erste Schritt zum einig sein, beginnt bei dem, der mir am Nächsten steht.

Das wäre doch ein schönes Urlaubsziel, den Trend umzukehren. Nicht zerstritten sondern gestärkt und geeint aus dem Urlaub nach Hause zu kommen. Im Urlaub einig zu werden in dem Sinn, dass ich mir bewusst Zeit nehme, um hinzuhören, nachzuspüren und auch nachzufragen, wie es dem andern geht. In der Mühle des Alltags ist das für die meisten nur schwer möglich.

Gemeinsam etwas unternehmen, auf die Zwischentöne achten, sorgsam miteinander umgehen. So kann der Urlaub in einer ganz anderen Art und Weise zum Abenteuerurlaub werden. Wenn ich den anderen bewusster wahr nehme, gelingt es mir, Neues zu entdecken und Unterschiedlichkeiten als Bereicherung zu erfahren.

 

„Ich suche die Einheit mit Gott“, sagt der fromme Einsiedler.

Auch das könnte ein neues abenteuerliches Urlaubsziel werden. Die Einheit mit Gott finden in dem Sinn, dass ich die freie Zeit nütze und über mein Leben und mein Arbeiten nachdenke. Vieles von dem, was mir so wichtig ist, ist vielleicht gar nicht so wichtig. Die Einheit mit Gott finden,  vielleicht auch in dem Sinn, dass mich Ruhe, Stille und Gebet innerlich stärken und letztendlich befreiter und leichter machen und somit auch glücklicher.

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“, sagt Jesus im Matthäusevangelium. Dieses Wort steht als Wochenspruch am Beginn der ersten Ferienwoche.