Das Evangelische Wort

Sonntag, 27. 07. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Michael Chalupka, Wien

 

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten

 

Was ist das?

 

Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, afterreden oder bösen Leumund machen, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.

 

Martin Luther Erklärung zum achten Gebot aus dem kleinen Katechismus

 

Die Lüge ist das Thema des medialen Sommers. Haben George Bush und Tony Blair gelogen, als sie den Krieg gegen den Irak mit der drohenden Gefahr der Produktion von Massenvernichtungswaffen begründeten oder nicht, haben sie bewusst Parlament und Senat hinters Licht geführt, oder sind sie ihren Spin-Doktoren auf den Leim gegangen.

Die Lüge aber ist kein Thema, des medialen Sommerlochs, sondern wird über Rücktritt und Wahlchancen der beiden Staatenlenker entscheiden.

 

Wobei es im Umgang mit der Lüge kulturell geprägt Unterschiede zu geben scheint. Was in den protestantisch geprägten Ländern angelsächsischer Zunge zu Staatskrisen, zu impeachement Verfahren und öffentlichen Debatten führt, wird in anderen Kulturen eher als Kavaliersdelikt gesehen. Eine kleine Lüge scheint geradezu zu den unabdinglichen Attributen des Cavaliere zu gehören.

 

Und schon in unseren Breitengraden, haben wir dafür schon Verständnis. Seien wir doch ehrlich gehört die Ausflucht, der Schwindel, die Unwahrheit doch zum Alltag, schon fast zum Überlebensrepertoire, im Dschungel der immer komplexer werdenden Welt. Wer hätte nicht schon zu einer Notlüge gegriffen, um nicht alles noch schwieriger werden zu lassen. Zuviel Wahrheit ist manchmal unzumutbar.

 

Und trotzdem steht das Verbot zu lügen in den zehn Geboten: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“, heißt es dort, gleichberechtigt, neben dem Verbot zu stehlen, oder zu töten, obwohl letzteres deutlich seltener vorkommt, als die Lüge.

 

Neben den verheerenden Folgen, die auch Lügen für Leib und Leben haben können, scheint mir vor allem ein Grund schwerwiegend genug, das Lügen zu verbieten und auch zu sanktionieren. Angelogen zu werden macht hilflos und entwürdigt den Gesprächspartner. In Beziehungen wandelt sich die Hilflosigkeit wird die Lüge enthüllt in Aggression, was auch nur eine andere Form der Hilflosigkeit ist.

 

Die Lüge zerreißt das Netz des Vertrauens zwischen den Menschen, sie untergräbt die Basis des sozialen Zusammenhalts. Gegen eine offene Lüge kann man sich nicht wehren, vor allem wenn sie kultiviert und charmant mit einem Lächeln vorgetragen wird. Noch wehr- und hilfloser macht die Lüge, wenn sie von einem als Instrument verwendet wird, der auch noch die Macht in Händen hält. Wer kann und will dem schon widersprechen. Das ist der Hauptgrund, warum Demokratien besonders sensibel gegenüber politisch motivierten Lügen zu sein haben. Wie wehr- und hilflos die Lüge zu machen versteht, kann man bei so manchem Interview im Fernsehen beobachten. Wenn die Interviewerin versucht, darauf hinzuweisen, dass vor 2 Wochen doch genau, das Gegenteil gesagt worden sei, und ihr dann strahlend entgegnet wird, man habe immer schon, ganz offen dieselbe Wahrheit gesagt, dann bleibt nur ein Bild der Hilflosigkeit zurück, weil Journalisten ja wohlerzogen sind und am Ende immer für das Gespräch zu danken haben.

 

Gott mag es nicht, wenn Menschen ihrer Würde beraubt werden, er mag sich diese Hilflosigkeit im Angesicht der feixenden Dreistigkeit nicht anschauen. Menschen hilflos zu machen ist beim lieben Gott verboten. Da hilft auch kein Lächeln.