Das Evangelische Wort

Sonntag, 10. 08. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

Pfarrer Peter Pröglhöf, Salzburg

 

Zumindest alle paar Jahre einmal raffe ich mich in den Sommerferien dazu auf, mein Arbeitszimmer auszumisten. Heuer war es wieder soweit - und es war auch höchste Zeit. Unglaublich, was sich da seit dem letzten Mal wieder alles angesammelt hat: Papier ohne Ende, Konferenzunterlagen in zigfacher Ausfertigung, Zeitschriften, die sich stapeln, weil ich sie immer noch lesen wollte und nie dazugekommen bin, längst erledigter Rechnungskram, dies und das. So packe ich einen ganzen Koffer voll Papier, das in den Aktenvernichter muss, bringe kistenweise Altpapier zur Sammelstelle - und spüre, wie mir zusehends leichter wird.  Es ist einiges darunter, was ich immer noch hätte erledigen wollen - aber jetzt ist es ohnehin zu spät. Über manchem grüble ich noch ein wenig nach - soll ich es aufheben oder nicht? Bei anderem kommen mir Erinnerungen, denen ich eine Weile nachhänge. Aber letztlich fühle ich mich befreit. Ich habe die Zeitschriften eben nicht gelesen - na und? Jetzt sind sie weg.

 

Es gibt vieles, mit dem wir uns selber unter Druck setzen: Erwartungen, die wir an uns haben, was wir alles tun sollten und wie wir es tun sollten; Erwartungen, die andere an uns haben und denen wir nachgeben müssen - oder wenigstens glauben, ihnen nachgeben zu müssen. Und so einfach, wie nicht gelesene Zeitschriften auszumisten, ist es ja oft nicht, sich aus diesen Zwängen zu befreien. Aber wir spüren, wie uns die Zwänge solcher Erwartungen versklaven und das tut uns nicht gut. Manchmal spüren wir es nur sehr zaghaft und lassen die Sehnsucht nach der Freiheit nicht allzu groß werden. Sie könnte uns zu sehr in Frage stellen. Aber es gibt auch Zeiten, in denen wir glauben, ausbrechen zu müssen. Und das geht meistens nicht ohne viel zerschlagenes Porzellan.

 

Der Apostel Paulus schreibt einmal: “Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft zwingen!” Im Brief an die Galater stehen diese wunderbaren Sätze.

 

Offenbar gibt es so eine Tendenz, dass wir immer wieder in die Knechtschaft zurückfallen. Also, obwohl wir als Christen eigentlich befreite Menschen, Kinder der Freiheit sind, zieht es uns immer wieder in die Knechtschaft, in die Zwänge der Erwartungen zum Beispiel - unserer eigenen oder die anderer. Vielleicht liegt das daran, dass die Freiheit der anspruchsvollere Weg ist. Freiheit wagen heißt: Neue Wege wagen und nicht einfach nur die ausgetretenen Pfade nachgehen. Aber der anspruchsvollere Weg der Freiheit ist zugleich der menschlichere Weg. Nur, indem wir die Freiheit wagen, werden wir zu den Menschen, die wir eigentlich in Christus schon sind: zur Freiheit befreit.

 

Paulus musste die Galater an ihre Freiheit erinnern. Wir müssen auch immer wieder einmal daran erinnert werden - und sei es durch eine Ausmist - Aktion in den Sommerferien. Oder vielleicht ist auch ein Urlaub eine gute Gelegenheit, sich darüber klarzuwerden, was ich alles an einengendem Ballast mit mir herumschleppe. Wir sehen ja manchmal aus ein wenig Abstand viel schärfer und können dann erst erkennen, was der nächste Schritt auf dem Weg der Freiheit ist. In den meisten Fällen wird es nicht nötig sein, auszubrechen und dabei viel Porzellan zu zerschlagen. In den meisten Fällen genügt es, hin und wieder Nein zu sagen, sich von etwas zu verabschieden, was ohnehin nur mehr leere Gewohnheit ist, oder in einem offenen Gespräch Erwartungen zu klären. Entscheidend ist nur, dass ich mir einmal die Freiheit nehme, mir über solche Dinge klar zu werden.