Das Evangelische WortSonntag, 24. 08. 2003, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von
Pfarrer Frank Lissy-Honegger (Graz) In
zwei Tagen werde ich übersiedeln. Ich bin zum Pfarrer in Rust gewählt
worden und werde mit meiner Familie dort arbeiten und wohnen.
Derzeit bin ich im Übergang. In Graz ist das meiste gepackt, von
Freunden und Bekannten habe ich mich verabschiedet, es ist Zeit zum
Gehen. 15 meist gute Jahre liegen hinter mir, ich war daheim in
Graz. Werde ich in Rust neue Heimat finden? Oder geht’s gar nicht
um die eigene Aktivität – wird einem Heimatrecht gewährt? Zunächst
ist Heimat Herkunftsort, ganz genau Elternhaus, ein begrenzter Raum,
sehr anfällig für den Blick durch die rosarote Brille. Nostalgie
schwingt mit und Sehnsucht nach der heilen Welt. Ernst Bloch nennt
Heimat etwas‚ das allen in die Kindheit scheint und worin noch
niemand war. Dennoch hält er die tätige Suche danach für weder
unnütz noch wertlos. Heimat
– wo findet man etwas davon, das nicht ideologisch verengt oder völkisch
missbraucht ist? In
Graz hat im Juli der Homeless world cup stattgefunden, die Fußball-Weltmeisterschaft
der Heimatlosen, ein vielbeachtetes Sportereignis, organisiert von
der Straßenzeitung Megaphon im Rahmen der Kulturhauptstadt Graz
2003. Eine Woche lang haben Teams von Obdachlosen, Ex-Junkies,
Asylwerbern für ihre Staaten um den Weltmeistertitel gespielt. Sie
haben sich bemüht, im Sieg maßvoll zu sein, mit Würde zu
verlieren und den Gegner als zum Spiel notwendig zu achten. Graz hat
den Homeless world cup mit solcher Anteilnahme und Sympathie
aufgenommen, dass es mir schien, diese Menschen vom Rande der
Gesellschaft, diese Fußballer
und Fußballerinnen aus Brasilien, Südafrika, Polen oder Wales
waren einige Tage in Graz daheim. Sie waren anerkannt, ihre Leistung
wurde geachtet, sie waren integriert. Heimat
kann aber auch leicht zu eng werden. Ein Gefängnis hat nichts
Heimatliches. An den Außenmauern des Gefängnisses Graz-Karlau sind
jetzt gerade Texte von Insassen angebracht. Das Gefängnis wird
damit als Ort deutlich, an dem sich viele Menschen aufhalten, die im
städtischen Leben aber nicht in Erscheinung treten können. In
einem Text an „seine Zelle“ schreibt ein Inhaftierter: denk
du doch an das schöne wo
alles rein und gut ich
bitt’ dich lass mich gehen jetzt
hab ich noch den mut willst
du mich ganz zerbrechen dann
ist es bald soweit eins
muss ich dir nur sagen lang
hast du nicht mehr zeit. ich
habe dich gebraucht doch
jetzt ist es so weit halt
mich nicht fest sei gnädig denn
jetzt bin ich bereit von
wo ich hergekommen dort
will ich nimmer hin zu
hause bin ich dort wo
ich willkommen bin Ich
stimme zu: Dort, wo ich willkommen bin, habe ich meine Heimat. Ich
bin in einer Verbundenheit, die mich weit über geografische Grenzen hinaus beheimatet. Sie ist dreifach. Es ist einmal die Heimat der Geschöpfe Gottes. Ich gehöre zu ihnen wie die Menschen alle, die Tiere und die Pflanzen. Meine Mitwelt, sie ist mir nicht egal und sie lässt mir den Raum zum Leben.
Es
ist dann die Verbundenheit durch Jesus Christus. Ich bin getauft,
dadurch habe ich Brüder und Schwestern in der ganzen Welt. Ein
kleiner Bub in Bombay, eine alte Frau in Sao Paulo, ich kenne sie
nicht, aber wir haben eine Verbindung, die vielleicht einmal etwas
bedeutet.
Und
ich kann immer wieder Heimat finden in Gottes gutem Geist. Er führt
mich hin zu den Obdachlosen und Asylwerbern und lässt mich die
Freude an ihrer Leistung und ihrem gewonnenen Platz in der Welt
mitspüren. Er lässt mich auf die Häftlinge nicht vergessen und
hilft mir, sie als Mitmenschen wahrzunehmen.
Solche
Heimat wird mich auch in Rust tragen, führt mich zusammen mit den
Ruster Evangelischen, die gestern gemeinsam ihr Turmfest gefeiert
haben und trennt mich nicht von den vielen anderen Menschen, denen
ich dort begegnen werde. Jesus
Christus sagt mir: Siehe, ich bin bei dir, alle Tage, bis an der
Welt Ende.
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