Das Evangelische Wort

Sonntag, 14. 09. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Pfr. Wolfgang Olschbaur, Bregenz

 

Eure Alten werden Träume haben und eure Jungen Visionen.

In Frankreich sind in diesem Sommer Tausende den Hitzetod gestorben. Darunter dreihundert alte Menschen allein in Paris. Sie wurden auf dem Armenfriedhof beigesetzt, weil niemand für sie zuständig war. Wovon haben die wohl geträumt, als sie noch am Leben waren? Dass sie wichtig sind für jemanden? Dass sie abgehen, wenn sie nicht mehr sind?

 

In einem Pflegeheim sollen Patienten schon am Nachmittag zur Nachtruhe gebettet werden, damit sie dem gestressten Personal nicht weiter zur Last fallen. Sie bekommen Windeln, um sie nicht auf die Toilette führen zu müssen. Wovon träumen diese Alten? Dass jemand da ist für sie, der Zeit hat und sich liebevoll mit ihnen abgibt? Oder haben sie ausgeträumt?

Das Pflegepersonal ist überfordert, im Gesundheitswesen wird gespart, Sozialleistungen gekürzt. Was für Aussichten für die Jungen! Sollten sie wirklich zur Sicherung der Pensionen mehr Kinder kriegen, statt Partys zu besuchen? Wenn das nur eine Alternative wäre! Denn nicht auf Partys zu gehen macht auch noch keine Kinder. Und sie aufzuziehen, ihnen eine lebenswerte Zukunft in Aussicht zu stellen, das ist noch einmal eine andere Sache!

 

"Alt werden ist nicht schön", hat mir eine 90-jährige gesagt, obwohl ich gerne etwas anderes hören wollte, etwa, dass Altsein bedeutet, sich auszuruhen, dankbar über sein Leben nachzudenken und sich gelassen aufs Sterben vorzubereiten.

 

Von Weisheit keine Spur! Es kommen die Unarten stärker zutage als früher. Da sitzt der geizige Vater auf seinem Geld, während der Sohn nicht weiß, wie er die Ausbildung seiner Kinder finanzieren soll. Da wird der tyrannische Ehemann zum Pflegefall und das einzige was ihm bleibt, ist seine Herrschsucht bis ans Ende. Da ist die Hochbetagte, die bis zum Unfall am Steuer ihres Autos sitzt, weil sie darauf besteht, alles selber zu machen. Da haben sich die, die sich's leisten können, in ihrem Domizil auf der Insel eingerichtet und leiden vor Langeweile an der "Paradies-Depression".

Alt werden ist nicht schön! Vom Altsein muss man nicht träumen. Für manche ist's eher ein Albtraum, der Angst macht.

 

Eine Kirchengemeinde versucht, sich dem zu stellen und lädt ihre Alten ein, darüber nachzudenken, was Altsein bedeutet. Leitgedanke dabei ist ein Gedicht von Rose Ausländer: "Wirf deine Angst in die Luft, ... noch bist du da!" Da kommen dann die Ängste heraus: Jemandem zur Last zu fallen, nicht mehr mobil zu sein, die Klarheit im Kopf zu verlieren. Aber einmal in die Luft geworfen, - und es wird einem schon leichter und man spürt deutlich, dass man noch lebt. Und da kann schon die Einsicht wachsen - von innen und nicht als guter Rat von außen - dass die Langsamkeit des Alters auch zur Freiheit verhilft, dass eine gewisse Leichtigkeit des Seins sich einstellt, wenn der Haushalt kleiner wird und der Lebenskreis. Und es bleibt mehr Zeit zum Schlafen und für die Natur.

 

"Wovon ich träume? Ach, dass ich nicht verbittert werde und akzeptiere, dass vieles anders ist, als ich es bisher gewohnt war."