Das Evangelische Wort

Sonntag, 28. 09. 2003,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

Pfr. Mag. Jürgen Öllinger aus Villach

 

Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Psalm 103

 

Traiskirchen kommt immer wieder in die Schlagzeilen. In diesen Tagen sind es allerdings erfreuliche und wenig spektakuläre: In Traiskirchen gibt es eine kleine evangelische Pfarrgemeinde. Sie feiert heute ihr 90jähriges Jubiläum.

 

Sieben Jahre davon war ich dort als Pfarrer tätig. „Flüchtlingspfarrer“ nannten mich manche. Denn genau gegenüber der evangelischen Kirche steht das Bundesasylamt. Und viele Menschen, die nicht betreut werden konnten oder durften, sind zu uns gekommen. 5000 waren es in meiner Zeit, die direkt an der Tür des Pfarrhauses geläutet haben. Wenigstens konnte ich meist mit Essen oder einem Schlafplatz aushelfen. Wenn ich zurückdenke, bin ich dankbar für diese Lebenszeit. Nicht nur, weil ich diese Zeit gut überstanden habe. Nein. Ich bin Gott dankbar, dass ich helfen konnte. Auch wenn ich mich oft hilflos fühlte angesichts der gesetzlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit. Oft genug wurde der Flüchtling, der Fremde, der Ausländer nicht als Chance erkannt, sondern als Bedrohung erlebt.

 

Ich bin dankbar für die Pfarre, die diese anstrengende Situation ausgehalten hat. Dass andere mit der Flüchtlingsarbeit begonnen haben und wieder andere damit weitermachen, tat und tut meiner Seele wohl. Wie eine Stafettenübergabe von einer Hand in die andere. Sehr dankbar bin ich den Menschen, die professionell geholfen haben. Mit juristischen Meisterleistungen und sozialer Kompetenz haben sie aus Flüchtlingen wieder Menschen in unserem Land gemacht.

 

Beim heutigen Fest zum 90jährigen Bestehen wird man auch zurückdenken und sich bedanken. Und vor allem wird man Gott loben, dass er die Geschicke der Pfarrgemeinde so gut geführt hat.

 

In der Geschichte von Traiskirchen wird die Geschichte Gottes sichtbar. Die Dankbarkeit, die manche dabei empfinden, bringt uns zu uns selbst. Wir können neue Horizonte bekommen und uns selbst relativieren, wenn wir bedenken, was Gott uns Gutes getan hat. Allerdings unsere Dankbarkeit braucht Gott nicht. Er braucht unser Leben, unseren Einsatz, unsere Offenheit. So verstehe ich diesen Satz: Lobe den Herrn, meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Jubiläen - beruflicher oder familiärer Art – tragen mit diesem Zuspruch für die Seele eine große Chance in sich, die Geschichte Gottes im eigenen Leben zu entdecken. Gott denkt und lenkt in größeren Zusammenhängen und möchte den Horizont erweitern. Wir sind manchmal so fixiert auf die eigene Geschichte, dass wir die Verbundenheit mit anderen Generationen vergessen. Wir übernehmen die Stafette des Glaubens von anderen Menschen und geben sie weiter. Wenn wir das Gute bedenken, ist das Schlechte damit nicht ausgelöscht. Aber das Jammern und Schimpfen und Schlechtmachen über das, was nicht so gelungen ist, auch in den 90 Jahren verstummt für einen wichtigen Moment. Und auch das ist Balsam für die Seele. Eine Pfarrgemeinde ist manchmal wie eine Familie. Und wenn in einer Familie darüber nachgedacht wird, was alles geschenkt und schön und erfreulich war, ist das Balsam für die Seele.

 

Die Quelle dafür ist Gott, nicht wir selbst. Wir reden nichts schön, sondern wissen um den Ursprung der guten Dinge unseres Lebens. Vergisst man innerhalb der Familien oder Pfarrgemeinden oder Länder nicht, was Gott Gutes getan hat, kommt eine neue Lebenshaltung. Das Jammern und Schimpfen wird für einige Zeit still sein müssen.

 

So ist es erklärbar, dass eine kleine Pfarrgemeinde in so schwierigen gesellschaftlichen Fragen und Entscheidungen lebendig ist und ein Anziehungspunkt  bleibt für viele Menschen aus allen Himmelsrichtungen.