Das Evangelische WortSonntag, 19. 10. 2003, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Pfarrerin
Christine Hubka (Wien) Petrus
tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass
Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet
und recht tut, der ist ihm angenehm. Apg 10, 34 - 35 Ich
habe noch nie eine gebratene Fledermaus verspeist, keine Kröte in
Weinsauce, keinen Maulwurf auf Blattspinat. Und Petrus, der große
Apostel auch nicht. Er hat zwar Leute gekannt, die ihm solche Genüsse
hätten anbieten können, aber um die hat er einen großen Bogen
gemacht. Weil sie einer anderen – einer fremden – einer unreinen
Religion angehört haben. Dann bekommt er von Gott persönlich in einem Traum so ein heidnisches Menü vorgesetzt. Er erkennt überrascht: dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm. Ich
habe noch nie eine gebratene Fledermaus verspeist und ich kenne
niemanden, der das tut. Ich trage auch kein Kopftuch. Aber ich kenne
Frauen, die Kopftuch tragen: Alte burgenländische Bäuerinnen,
junge Musliminnen, Frauen, die nach der Chemotherapie die haarlose
Zeit mit einem Kopftuch überbrücken. Ich treffe Frauen, die
Kopftuch tragen, vor meiner Kirche und in meiner Kirche. Sie gehen
auch in die Schule, als Lehrerinnen, als Schülerinnen. Weil
eine muslimische Lehrerin während des Unterrichtes ihr Kopftuch
tragen wollte, wurde sie in Deutschland vom Dienst suspendiert.
Jetzt hat ein Gericht entschieden: Sie darf weiter mit Kopftuch
unterrichten. Ich
bin sehr froh über dieses Urteil. Denn ein Verbot des Kopftuches hätte
ja unglaubliche Folgen: Dann müsste das Tragen eines Ohrsteckers
mit dem beliebten taoistischen Yin – Yang Zeichen ebenso aus der
Schule verbannt werden wie der Priesterkragen des katholischen
Religionslehrers. Ein jüdischer Mathematik-Professor dürfte dann
die bei den Juden gebräuchliche Kopfbedeckung, die Kippa, im
Unterricht nicht auf haben. Und Ordensleute – männlichen oder
weiblichen Geschlechtes, könnten auch nicht mehr unterrichten.
Schließlich tragen Ordensfrauen den Schleier und Mönche eine
Kutte. Vom Kreuz als Anhänger, Ohrstecker, Brosche ganz zu
schweigen. Übersetze
ich diese Zeichen in die Sprache der Werbung, dann signalisieren
sie: Bin ich Christin, hab ich mehr vom Leben. Oder: Bin ich
Muslimin, hab ich mehr vom Leben. Oder: Bin ich Jude, hab ich mehr
vom Leben. Die Schülerinnen und Schüler können das sehen und
hinterfragen und sich ein eigenes Urteil bilden. Denn jeder dieser
Menschen wird mit seinem Verhalten überzeugen oder eben nicht. Schwieriger
ist es mit der Werbebotschaft eines Internet-Anbieters: Derzeit kann
man in Wien an jeder Straßenecke lesen: Bin ich die Marke X, hab
ich mehr vom Leben. Die Botschaft dieses Satzes ist verblüffend:
Wenn sich der Mensch endlich mit dem Produkt gleichsetzt, das er
benutzt, dann hat er angeblich mehr vom Leben. Jede
Religion vermittelt: Ich bin ich. Ich bin mehr als das Produkt, das
ich benütze. Deshalb bin ich über die sichtbare Vielfalt der
Religionen in unserem Land und in unseren Schulen froh. Weil sie
allein dadurch, dass sie da sind, deutlich machen: Zum Mensch-Sein
gehört mehr als das Benützen von bestimmten Markenartikeln; und
weil sie daran erinnern, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern
in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm
angenehm.
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