Das Evangelische WortSonntag, 26. 10. 2003, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Krankenhauspfarrer
Bernd Hof aus Innsbruck Heute,
an unserem Nationalfeiertag, möchte ich einmal meine Dankbarkeit zu
Wort kommen lassen: Ja, ich bin dankbar, hier und jetzt zu leben. In
diesem Land mit seinen so unterschiedlichen und so schönen
Landschaften, und mit seinen so herrlich verschiedenen Bewohnern.
Ich erinnere mich noch gut, wie ich einmal mit zwei jungen Leuten im
Zugabteil gesessen bin, und ich hab kein Wort von ihrer Unterhaltung
verstanden, ja nicht einmal gewusst, welche Sprache sie sprechen.
Dann hat sich herausgestellt: Es waren Vorarlberger. Ist diese
Vielfalt nicht schön? Ich halte sie für einen großen Reichtum
unseres Landes. Freilich, die Verschiedenheit der Menschen macht das
Zusammenleben nicht immer einfach und bringt Spannungen mit sich.
Aber was wäre das Leben ohne Spannung? Und so habe ich kein Verständnis
dafür, dass manche von vornherein bestimmen wollen, wer in Österreich
leben darf und wer nicht. In der Bibel lese ich sogar, dass wir die
Fremden lieben sollen. Ich
bin auch dankbar, dass wir seit mehr als einem halben Jahrhundert
Frieden haben – nicht nur, dass kein Krieg ist, sondern dass auch
die Parteien, Religionsgemeinschaften und Gruppen ihre
Meinungsverschiedenheiten ohne Gewaltanwendung austragen. Wenn ich
in unserer Geschichte zurück schaue, merke ich, wie wenig
selbstverständlich das ist. Und ich werde empfindlich gegen jeden
Radikalismus der Worte, weil ich weiß, wie leicht ihm die Taten
folgen. Froh
bin ich auch darüber, in einem Rechtsstaat zu leben, und dass ich
mich vor Bespitzelung und ungerechtfertigter Verfolgung nicht fürchten
muss. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn einzelne an den
Machthebeln meinen, sie müssten sich um Recht und Gesetze nicht so
genau kümmern wie die sogenannten Kleinen Leute. Denn die
Gewissheit, dass vor dem Gesetz alle gleich sind, ist eine Grundlage
unseres Zusammenlebens, und die biblischen Propheten sind nicht müde
geworden, den Hochmut der Mächtigen anzuprangern.
Jetzt,
wo ich älter werde, bin ich auch besonders dankbar für unser
Sozialsystem. Es tut gut, zu wissen, dass grundsätzlich die
Allgemeinheit bereit ist, denen zu helfen, die Hilfe brauchen. Ich
weiß schon, das Pensionssystem muss umgebaut werden, sonst ist es
bald nicht mehr finanzierbar, aber ich finde es schlimm, wenn manche
überall Sozialschmarotzer vermuten und Jung gegen Alt ausgespielt
wird. Besonders schön finde ich, dass die meisten Österreicher
bereit sind, anderen direkt oder durch Spenden zu helfen – da sind
wir sogar Europameister, hab ich gelesen. Großartig
ist auch unser Gesundheitssystem. Ich weiß: Wenn ich krank werde,
bekomme ich die beste Behandlung, auch wenn ich mir die von meinem
Geld nicht leisten könnte. Es gibt nicht viele Länder auf der
Welt, wo das so ist. Auch hier wird gespart werden müssen,
freilich, aber bitte nicht so, dass dann manche notwendige
Behandlung nur mehr für Wohlhabende in Frage kommt. Schließlich
ist unser organisiertes Gesundheitswesen ein Erbe der Klöster, und
da wurde kein Kranker nach seinem Reichtum oder seiner Armut
gefragt. Österreich
ist gewiss keine Insel der Seligen, und doch habe ich viele Gründe,
von Herzen dankbar zu sein, dass ich in dieser Zeit in diesem Land
lebe. Manches davon hat mit dem geistigen Erbe zu tun, das uns aus
der Bibel zugekommen ist und von den Menschen, die aus ihrem Glauben
gelebt haben. Dieses Erbe muss freilich von jeder Generation neu in
Anspruch genommen werden, sonst verliert es seine verbindende Kraft.
So sind wir alle aufgerufen, unsere Verantwortung als Menschen und Bürger
wahrzunehmen. Unsere Kinder sollen an uns sehen, dass Solidarität
und Hilfsbereitschaft eine tragfähige Lebensgrundlage bilden. Und
sie sollen erleben, dass es bessere Problemlöser gibt als Lüge und
Gewalt. Damit auch sie einmal sagen können: Ja, ich bin froh und
dankbar, in dieser Zeit und in diesem Land zu leben.
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