Das Evangelische WortSonntag, 02. 11. 2003, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Pfarrer Martin Müller (Waiern, Kärnten)
"Herr,
du tust mir kund den Weg zum Leben" (Psalm 16,11) Auf
gut ausgebauten Straßen ist es schön fahren. Ich sitze im Auto,
freue mich, dass ich dem Ziel stetig näher komme und kann dem
unbeschwert zuhören, was ich im Radio gerade Interessantes höre.
Aber plötzlich sehe ich eine große Tafel:
Geschwindigkeitsbegrenzungen, gelbe Warnleuchten und das Schild
"Umleitung“. Ärger kommt in mir hoch. Jetzt, so kurz vor dem
Ziel noch ab von der breiten Bundesstraße, auf schmalen Wegen und
Sträßchen entlang, bis ... ja, bis ich am Ende doch ans Ziel
komme. Gott sei Dank! Umleitung.
Umleitungen sind lästig. Sie stören unsere Weggewohnheiten.
Manchmal nötigen sie uns, breite, gut ausgebaute Straßen zu
verlassen und über mühsame Umwege unser Ziel zu suchen.
Umleitungen ärgern uns. Und doch sind Umleitungen oft ganz wichtig.
Wenn ein tiefes Schlagloch eine Straße unpassierbar gemacht hat,
oder ein Murenabgang oder eine Baustelle, dann kann eine Umleitung
sogar lebenswichtig sein. Denn in voller Fahrt in eine Baustelle
oder in ein Schlagloch zu rasen, ist für Auto und Mensch nicht
ratsam! Wie gut, dass es dann eine Umleitung gibt, über die man
sich im ersten Augenblick vielleicht ärgert, die einen aber vor
unliebsamen Unfällen bewahrt, die einen neuen Weg auftut und am
Ende ans Ziel führt. Unerwartete
Hindernisse gibt’s auch im persönlichen Leben. Das kann auch der
erleben, der vielleicht gerade in voller Fahrt unterwegs ist. Eine
Krankheit, der plötzliche Abschied von einem lieben, vertrauten
Menschen, eine berufliche, einschneidende Veränderung - all das
kann tiefe Schlaglöcher in unseren Lebensweg hauen. Dann kann es
schon passieren, dass wir anstehen und dass wir nicht mehr weiter
wissen. Wie gut, wenn sich dann eine "Umleitung" auftut.
Eine neue Perspektive, die durch schwierige Erfahrungen und
Herausforderungen hindurch doch einen neuen Weg weist. Etwa ein
Gespräch mit einem vertrauten Menschen, ein hilfreiches Wort der
Bibel, die wegweisende Hilfe in Seelsorge und Beratung können zur
"Umleitung" werden, die einen neuen Weg eröffnet.
„Herr, du tust mir kund den Weg zum Leben". Mit
Sorge registrieren viele Menschen heute gesellschaftliche
Entwicklungen: In den Gremien der EU etwa wird an einem Entwurf
gearbeitet, der aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen
zulassen soll. Das umstrittene Modell Niederlande zieht Kreise. Das
"Unwort" Euthanasie verliert unter der Perspektive der
Finanzierbarkeit seinen grausamen Schatten. Wenn in solch
weitreichenden Fragen des Respekts vor dem Leben nur
Wirtschaftlichkeit und Billigkeit zählen, dann kann man nur sagen:
die Welt braucht Umleitungen. Wenn viele nur die ausgetretenen Pfade
gehen, sich nur von den Werten der Mehrheiten, des Kommerzes und der
Meinungsmacher treiben lassen, dann sind "Umleitungen"
immer nötiger, die die Werte des Lebens wieder in den Mittelpunkt
stellen und uns an die richtigen Ziele führen. „Herr,
du tust mir kund den Weg zum Leben“ Das
Wort Gottes ist so eine „Umleitung", die wieder Orientierung
gibt und auf den rechten Weg weist. Wenn die evangelischen Kirchen
in diesen Tagen das Reformationsfest begehen, erinnern sie daran,
dass eine Kirche und jeder Mensch sich stören lassen soll, sich
immer wieder neu ausrichten muss nach dem Willen Gottes. Das ist
mitunter unbequem. Aber es ist Hilfe zum Leben. Und wer sich darauf
einlässt, wird nicht vor den Schlaglöchern des Lebens anstehen,
sondern eine neue Perspektive und Hoffnung finden.
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