Das Evangelische WortSonntag, 09. 11. 2003, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Landessuperintendent
Peter Karner, Pfarrer der Reformierten Stadtkirche Wien „Wieso
haben eigentlich die Kirchen gar so einen Narrn gfressen an den Ausländern?“,
das werde ich als Pfarrer und Landessuperintendent immer wieder
gefragt. Viele Zeitgenossen glauben, dass der Fremdenhass eine Äußerung
des „gesunden Volksempfindens“ ist. Aber die Kirchen haben,
scheints, Probleme mit dem, was Krethi und Plethi für völlig
normal halten. Neigen Kirchen eher zu einem „kranken
Volksempfinden"? In den letzten 2000 Jahren hat sich natürlich herumgesprochen, dass Kirchen die Bibel als Richtschnur ihres Denkens und Handelns haben – auch wenn sie sich nicht immer daran gehalten haben. Kirchen sind überzeugt davon, dass sie am ehesten erkennen, was Gott von ihnen erwartet: wenn sie die Bibel studieren. Und da wartet jetzt auf jeden Bibelleser eine große Überraschung.
Die Gebote, die die Behandlung der Fremden betreffen, kommen in der Bibel um ein Vielfaches öfter vor als die 10 Gebote. Gott kann sein Volk gar nicht oft genug ermahnen, die Fremden, die bei ihnen leben, menschlich, ja sogar wie die eigenen Landsleute zu behandeln.
Das
fängt bei scheinbaren Kleinigkeiten an: Was bei der Getreide- und
der Ölbaumernte, bei der Weinlese überbleibt, sollen sie stehen
lassen, denn davon soll sich der Fremde ernähren können. Aber es
geht nicht nur um Kleinigkeiten: „Ein- und dasselbe Gebot soll
gelten für den Einheimischen und den Fremden, der unter euch
wohnt.“ „Du sollst das Recht des Fremden nicht beugen. Ja,
verflucht ist, wer das Recht des Fremden beugt.“
Und
warum sollen die Leute den Fremden Gleichbehandlung angedeihen
lassen? Die Gründe, die immer wieder von Gott selbst genannt
werden, sind psychologisch, historisch-politisch, ja Konsequenzen
des 1. Gebotes: „Einen Fremden sollst du nicht bedrücken. Ihr
wisst ja, wie einem Fremden zumute ist. Ihr seid doch auch
Fremdlinge gewesen im Land Ägypten.“ Diese Bezugnahme auf das
eigene Schicksal zieht sich wie ein Refrain durch alle
Fremdengebote: „Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst: wie
ein Einheimischer soll der Fremde bei euch leben: einen Fremden
sollst du nicht unterdrücken noch bedrängen – denn ihr habt doch
auch das Schicksal erlitten, Fremdlinge zu sein. Ihr wisst doch, was
Unterdrückung bedeutet!“ Aber der Hauptgrund, Fremde wie Einheimische zu behandeln, liegt letztlich in Gott selbst. „Das selbe Recht gilt für beide, denn ich bin euer Gott.“ „Gott sieht die Person nicht an, und so hat er den Fremdling lieb, dass er ihm Brot und Kleider gibt.“ Der Schutz des Sabbathgebotes gilt auch für den Fremden, denn der Herr behütet den Fremden.
Die
ständige Kritik der Propheten lautet: „Dem Fremden tut man Gewalt
an in eurer Mitte.“ Gott meint es ernst: „Plagt den Fremden
nicht. Nie soll der Fremde auf der Straße übernachten.“ Und
schließlich noch ein Prophetenwort: „Ich werde als Zeuge gegen
die auftreten, die den Fremden bedrücken.“ Es
wäre durchaus gerechtfertigt, den Schutz des Fremden zum 11. Gebot
zu machen. Und für die Kirchen ist das praktisch längst geschehen.
Sie wissen, was sie zu tun haben. Aber
was schert die roten, schwarzen und blauen Spießer ein biblisches
Gebot, wenn sie Angst um ihr kuscheliges Boot haben. Übrigens
konnte inzwischen geklärt werden, wem die Caritas gehört: nämlich
unserm Gott, der die Fremden liebt.
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