Das Evangelische WortSonntag, 28. 12. 2003, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Dr. Jutta Henner, Wien
Das Jahr 2003 geht zu Ende. Das „Jahr der Bibel 2003“ geht damit auch zu Ende. Alle christlichen Kirchen in Europa haben die Bibel ins Zentrum ihres Handelns gestellt. Menschen waren eingeladen, der Bibel und ihrer Botschaft zu begegnen, mit der Bibel ins Gespräch zu kommen.
Ich
könnte Ihnen viel erzählen von spannenden Projekten, unter anderem
von packenden Bibellesungen, von aufwendigen Bibelausstellungen, von
meditativen Bibelwanderungen und auch von biblischen Köstlichkeiten
wie dem „Fleischtopf Ägyptens“, der mir in besonderer
Erinnerung geblieben ist.
Jung
und Alt haben sich kreativ und intensiv mit der Bibel beschäftigt,
viele haben die Bibel neu für sich entdeckt. Ein
Projekt unter den vielen hat mich persönlich besonders bewegt.
Daran möchte ich Sie heute Anteil haben lassen: „Bibel hinter
Gittern“ lautete das Thema eines Wettbewerbs, den die Evangelische
Gefangenenseelsorge und die Österreichische Bibelgesellschaft
ausgeschrieben haben. Seit Jahren bekommen Gefangene Bibeln, auch in
ihrer Muttersprache, geschenkt und lesen darin. Gefangene aus zehn
verschiedenen Gefängnissen in Österreich haben sich in diesem
Herbst nun intensiv damit auseinandergesetzt, was die Bibel in ihnen
auslöst, was sie in der Bibel besonders anspricht und was sie
besonders herausfordert. Im Advent wurden die teilweise
umfangreichen Beiträge von einer Jury gesichtet, ausgewertet und prämiert.
„Bei mir ist es so gewesen, dass ich schon seit meiner Kindheit gern und öfters in der Bibel las. ... Wie ist es nun aber in der Haft, wohin mich das Geschick auf längere Zeit auf engsten Raum verbannt hat, wo ich Sonne und Sterne nicht mehr sehen kann, auch nicht die wahre Größe des den Horizont umspannenden Firmaments, und ich allein bin mit meinen Ängsten und Zweifeln in all der Hoffnungslosigkeit des „Eingesperrtseins“? Hier hilft mir das Lesen in der Bibel, um Trost zu finden in dieser ausweglosen Situation.“
Einige Gefangene berichten davon, dass sie sich zunächst mit Vorbehalten der Bibel genähert hätten. Die Bibel oder das Teilnehmen an einer Bibelrunde hinter Gittern sei zunächst einfach eine Abwechslung gewesen im eintönigen, oft tristen Alltag.
Doch
selbst Skeptiker können in ihrer besonderen Situation hinter
Gittern der Bibel Positives abgewinnen: Die
Bibel ist für den gläubigen Christen das Wort Gottes. Für den
Andersgläubigen, aber auch für den Atheisten, ist die Bibel ein
lehrreiches Buch. Es vermittelt gerade uns hinter Gittern Erkenntnis
und Trost. Zweifel
bleiben nicht aus, die Bibel war und ist für viele eine
Herausforderung. Doch zumeist verfehlt die Bibel ihre Wirkung nicht. Die
Bibel hat meine Art, mit Menschen umzugehen, völlig neu und positiv
beeinflusst. Sie hat meinem Leben wirklich einen Sinn gegeben. Ich
freue mich sehr, dass die Bibel ein Teil meines Lebens geworden ist.
Beim
Lesen in der Bibel wissen sich viele der Gefangenen mit
hineingenommen in die biblischen Erzählungen, fühlen sich, als wären
sie dabei. Sie entdecken Personen der Bibel mit denen sie sich
identifizieren können, die ähnlich wie sie in Verlassenheit und
Not die Nähe Gottes erfahren haben. Sie wissen sich von einzelnen
Worten der Bibel angesprochen, mitten hinein in ihre Situation. Sie
entdecken immer wieder Neues im unerschöpflichen Reichtum der
Bibel. Sie sehen sich und ihr Leben aus einer anderen Perspektive
und können so ihren Alltag hinter Gittern bewältigen.
Die
heilige Schrift gibt mir Hoffnung und Selbstvertrauen. Die Worte und
Weisungen der Bibel sind für mich Grund zur Freude. Die Bibel gibt
mir das Vertrauen und die Gewissheit, dass ich von Gott nicht
vergessen bin. Die Bibel bedeutet für mich hinter Gittern:
Freiheit!
Die
Bibel bewegt Menschen, das ist das Ermutigende für mich an den persönlichen
Stellungnahmen der Gefangenen. Die Bibel bewegt Menschen. Nicht nur
im „Jahr der Bibel.“ Und nicht nur hinter Gittern...
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