Das Evangelische WortSonntag, 25. 01. 2004, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von Pfarrer Peter Pröglhöf
“Gibt’s das bei euch
eigentlich auch?” fragt mich mein katholischer Gesprächspartner,
mit dem ich mich über die Annullierung von Ehen in der katholischen
Kirche unterhalte. “Natürlich nicht”, antworte ich. “Ach so,
eh klar”, sagt er, “bei euch kann man ja eh noch einmal
heiraten, wenn man sich scheiden lasst.” - “Nein, das ist nicht
der Punkt”, entgegne ich, und dann versuche ich ihm zu erklären,
warum das so ist, dass in der evangelischen Kirche keine Ehen
annulliert werden - aber das ist gar nicht so einfach. Ich versuche es damit, dass
ich erkläre, was eine evangelische Trauung ist. Da kommt ein
Ehepaar, das bereits verheiratet ist, in die Kirche. Die Ehe haben
sie auf dem Standesamt geschlossen. Und in der Kirche feiern wir
einen Gottesdienst. Die beiden stehen mit ihrer Liebe, mit ihrer
Beziehung, mit ihrer Freude und auch mit ihren Unsicherheiten im
Mittelpunkt. Ihnen gilt die Zusage, dass Gott sie auf ihrem Weg
begleitet, für sie beten wir, sie versprechen einander vor Gott und
allen Anwesenden, dass sie so mit einander umgehen wollen, wie es
dem Glauben an Gott entspricht und sie werden gesegnet. Für uns ist
die Trauung in der Kirche kein Rechtsakt. Ich werde nie vergessen,
wie ein katholischer Amtsbruder, mit dem ich eine gemeinsame Trauung
gestaltet habe, hinterher als erstes in der Sakristei zu mir sagt:
“So, hoffentlich war’s jetzt auch gültig.” Eine Frage, die
mir nie in den Sinn kommen würde. Es gibt bei uns kein eigenes
kirchliches Eherecht. Peinliche Befragungen nach Ehehindernissen wie
Impotenz oder Gattenmord sind für uns undenkbar. Das steht der
Kirche nicht zu. Ganz zufrieden bin ich mit
meiner Antwort im nachhinein aber doch nicht. Freilich kann man eine
Trauung nicht für ungültig erklären, wenn sie selber gar kein
Rechtsakt ist, der gültig oder ungültig sein kann. Aber ist das
schon der entscheidende Punkt? Auch dass die Ehe in der katholischen
Kirche zu den Sakramenten gezählt wird, in der evangelischen
hingegen nicht, ist nicht der entscheidende Punkt. Denn warum sollte
man ein Sakrament nicht mehrmals empfangen können, das geht bei
anderen Sakramenten ja auch, ohne dass das Vorherige annulliert
werden müsste. Ich habe inzwischen eine ganz
andere Vermutung. Wer Schlimmes erlebt, kennt auch den Wunsch, es
ungeschehen zu machen. Könnte ich nur noch einmal die Zeit zurückdrehen!
Könnte noch einmal alles ganz anders sein! Die Annullierung einer
Ehe ist der Versuch, etwas ungeschehen zu machen. Mit allen möglichen
Verrenkungen soll bewiesen werden, dass das, was die beiden Menschen
da erlebt - und wohl auch erlitten - haben, ja gar keine Ehe war! Nur: Das ist eine Illusion.
Man kann das Geschehene nicht ungeschehen machen. Und auch das
Scheitern einer Ehe kann man nicht dadurch ungeschehen machen, dass
man sich einredet, es war ja gar keine Ehe. Die einzige Möglichkeit,
das Scheitern zu bewältigen, ist, sich ihm zu stellen. Dann gibt es
eine Chance für einen Neuanfang, der dann eben auch ein Neuanfang
mit einem anderen Menschen, einer neuen Ehe, sein kann. Die Möglichkeit
zu scheitern, gehört zu unserem Menschsein dazu. Trotzdem können
die Ideale, die wir nicht verwirklichen konnten, sinnvolle und
unaufgebbare Ideale bleiben. Das gilt auch für andere Ideale, nicht
nur die Unauflöslichkeit der Ehe. Das Ideal zum Beispiel, keinen
Menschen zu töten, bleibt sinnvoll und unaufgebbar, selbst wenn ich
einmal als Autofahrer unaufmerksam war und einen Fußgänger
niedergestoßen habe. Da hat es keinen Sinn, im Nachhinein beweisen
zu wollen, dass ich gar nicht Auto gefahren bin. Sondern da muss ich
mich meinem Scheitern stellen, so schrecklich das sein kann. Was der Kirche zusteht, das
ist Vergebung und Neuanfang zuzusprechen, wenn sie ihrem Herrn und
Erlöser verpflichtet sein will, der gesagt hat:
“Seid barmherzig, wie auch
euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch
nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt.
Vergebt, so wird euch vergeben.”
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