Das Evangelische Wort

Sonntag, 08. 02. 2004,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

von Superintendentin Luise Müller, Salzburg

 

 

Jesus sagt: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern und Schwestern, das habt ihr mir getan.

 

Mt. 25,40

 

 Das ist ein sehr bekannter Bibelvers zu einem sehr bekannten und aktuellen Thema. Zum Thema Diakonie. Zum Thema Nächstenliebe. Die Erkenntnis, dass den Ärmsten der Armen geholfen werden muss, ist unumstritten.

 

Am vergangenen Montagabend fand in Salzburg ein Informationsabend zu einem geplanten Integrationshaus mit 23 Wohneinheiten für anerkannte Flüchtlinge statt. Gekommen waren ca. 150 Leute, Befürworter aber vor allem auch Gegner.

 

Es ging heiß her, Emotionen brachen auf, und es war vor allem ein Gedanke der Gegner, der die Diskussion beherrschte: Und wer kümmert sich um uns? Wer sieht in uns die geringsten Brüder und Schwestern? Diese Menschen sahen sich auch als Opfer, denen geholfen werden muss. Sie erzählten von Problemen in ihrem Stadtteil, die mit den Jahren größer anstatt kleiner geworden waren, von leerstehenden Geschäften, von fehlender Infrastruktur, von Wünschen nach betreutem Wohnen für ältere Menschen und vielem mehr. Und jetzt sollte dort zu dem hohen Ausländeranteil der Wohnbevölkerung zusätzlich ein Integrationshaus entstehen? Damit sahen sie sich überfordert. Davor hatten sie Angst, das wollten sie unter gar keinen Umständen. Und manche formulierten ihre Ablehnung drastisch.

 

Zum Glück gab es auch die anderen, die die positiven Seiten aufzählten, die benennen konnten, warum sie gerne in diesem Bezirk leben. Die klar deponierten, dass sie sich nicht als Opfer empfinden, sondern Lebensqualität haben. Die sahen in der kleinen Zahl gut betreuter Flüchtlinge keine Gefahr sondern eher das Gegenteil: Die Chance, dass fremde Menschen eingegliedert werden können, und dann auch eine Bereicherung darstellen.

 

Nach den Gefühlsausbrüchen, wo die einen den anderen Gehässigkeit gegenüber Flüchtlingen vorwarfen und die anderen den einen Blauäugigkeit, als die Scheinwerfer ausgeschaltet worden waren und die Mikrofone vom Tisch geräumt, da ergaben sich erste Gespräche. Die Fronten brachen auf, neue Allianzen wurden vorsichtig ins Auge gefasst. Es wurde nach Möglichkeiten gesucht, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen.

 

Am Anfang des Abends stand die Absicht über ein Integrationshaus zu informieren. Am Ende des Abends das Bewusstsein, dass die Frage nach den geringsten Brüdern und Schwestern keine objektiv zu beantwortende ist. Der Schrei nach Hilfe muss ernst genommen werden, ohne sich in Allmachtsphantasien zu verlieren.

 

Wo immer sich Menschen als Opfer, als Spielball der Mächtigen, der Politik erfahren, fühlen sie sich missbraucht. Sie verlieren das Gefühl, entscheiden zu können, demokratische Strukturen verlieren an Kraft. Eine potentiell gefährliche Situation. Da ist kluges Handeln gefragt.

 

 Hören Sie mir auf, mit Ihrer Nächstenliebe, hatte mir ein Diskussionsteilnehmer an den Kopf geworfen. Nein, hätte ich ihm gerne geantwortet, als ich das nächste Mal drankam. Nein. Die Liebe ad acta zu legen kann nie die Antwort sein. Die Liebe ist das Einzige, was letztenendes trägt. Aber da war er leider schon gegangen.