Das Evangelische WortSonntag, 15. 02. 2004, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von
Pfarrer Olivier Dantine (Großpetersdorf, Bgld.) Jedes
Mal, wenn ich wo vorbei komme und mir denke: Hier gleich wohnt doch
ein guter Freund, oder arbeitet eine gute Freundin, vielleicht
treffe ich sie auf der Straße, dann weiß ich schon: Ich werde sie
nicht treffen. Noch nie habe ich jemanden zufällig getroffen, an
den ich gerade gedacht habe. Als ob das Denken an einen Menschen ein
Treffen verhindert. Andere erzählen mir, dass sie immer wieder von
jemandem angerufen werden, an den sie im Augenblick gerade gedacht
haben. Ist das Gedankenübertragung? Vorsehung? Wohl eher Zufall.
Die Erfahrung lehrt: Zufälle kann man nicht herbeiwünschen. Sie
passieren. Aber wenn es um das Zusammentreffen mit anderen Menschen
geht, muss ich es zum Glück nicht auf den Zufall ankommen lassen. Ich
kann mir mit jemanden einen Treffpunkt ausmachen, das steigert die
Wahrscheinlichkeit eines Wiedersehens beträchtlich. Nach manchen
Menschen kann man sogar die Uhr stellen, sie haben einen so minutiös
durchstrukturierten Tagesablauf, dass ein Zusammentreffen mit ihnen
schon nicht mehr als zufällig und schon gar nicht als überraschend
bezeichnet werden kann. Das ist auch dann besonders praktisch, wenn
ich einem Menschen aus dem Weg gehen will. Dass
wir Menschen so berechenbar sind, das ist hilfreich. Unter anderem
darin unterscheiden sich aber die Menschen von Gott. Der ist nämlich
überhaupt nicht berechenbar. Gott ist für Überraschungen gut. Das
hat auch der Prophet Elia erfahren, der am Gottesberg, dem Berg
Horeb auf ein Zeichen Gottes gewartet hat. 1. Könige 19,11-12 Der
Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN!
Und siehe, der HERR wird vorübergehen. Und ein großer, starker
Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem
HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam
ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben. Und nach dem
Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach
dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Offensichtlich
hat Elia von Gott etwas anderes erwartet. Gott, der so mächtig, der
so gefährlich ist, der von sich sagt: Kein Mensch wird leben, der
mich sieht. Der muss doch im Gefährlichen kommen. Im Sturm, im
Erdbeben oder im Feuer. So, wie es Hollywoodgerecht dargestellt
werden könnte. Aber Gott ist für Überraschungen gut. So, wie Elia
ihn erwartet, so kommt er nicht. Gott ist eben nicht berechenbar. Schade,
denke ich mir. Ein berechenbarer Gott wäre doch praktisch. Den könnte
ich herbestellen, wann ich will. Ich könnte ihm aus dem Weg gehen,
wenn er meine Kreise stört. Ich könnte ihn in Dienst stellen und
ihm Aufträge erteilen: Hilf mir, nimm mir diese und jene Last,
entferne doch die lästigen Menschen von mir, schaffe mir doch
endlich meine Feinde vom Hals. Praktisch wäre so ein Gott. Aber
kein Gott. Gott lässt
sich nicht instrumentalisieren. Nicht für die eigenen Interessen.
Nicht für einen Kampf der Guten gegen die Bösen. Schon gar nicht lässt
er sich gegen militärische Feinde anrufen. Schrecklich, wie sehr
das in letzter Zeit wieder zur Mode geworden ist. Es leuchtet
bereits Kindern ein, dass das nicht funktionieren kann. Die Bitten
welcher Seite soll er denn erhören? Nicht nur deshalb entzieht sich
Gott solchen Ansprüchen politischer oder militärischer Art. Gott lässt
sich eben nicht fassen. Auch nicht in einer Verfassung. Der Versuch,
politische Ansichten und Handlungen von Gott legitimieren zu lassen,
der scheitert an der Freiheit und der Souveränität Gottes, der
eben nicht zur Verfügung steht, wenn wir ihn gerade brauchen. Was
haben die Menschen aber dann von so einem Gott? Von einem Gott, der
sich ihnen entzieht? Mehr als von einem Gott, der den Menschen zur
Verfügung steht. Ein solcher Gott wäre nur Spielball der Mächtigen
und Einflussreichen. Aber weil Gott sich dem Einfluss der Menschen
entzieht, kann er Anwalt der Machtlosen sein. Er ist so die Lobby für
alle, die keine Lobby haben und Richter für die Rechtlosen. Gott
ergreift Partei für die Schwachen. Hier sind wir an einen Kern der
biblischen Botschaft angelangt: Weil Gott frei von allen
menschlichen Ansprüchen bleibt, kann er für viele Menschen als der
befreiende erfahren werden. Und für
mich, der nicht rechtlos ist, der nicht ohne Einfluss ist? Da ist
die Vorstellung, dass Gott so unberechenbar ist, tatsächlich
unheimlich. Das Sprichwort: Der Mensch denkt und Gott lenkt ist
meist ein Ausdruck der Resignation. Das Leben ist durchgeplant bis
ins letzte, und wenn diese Lebensplanung Brüche bekommt, werden
diese als massive Bedrohung angesehen. Viele verlieren dann den
Boden unter den Füßen. Auch ich muss zugeben, dass ich nicht gerne
planlos durch mein Leben gehe. Aber vielleicht kann mich Gott von
diesem Wahn befreien, alles und jedes planen zu wollen oder gar zu können.
Und vielleicht kann ich so gelassener an mein Leben gehen.
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