Das Evangelische Wort

Sonntag, 29. 02. 2004,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

Pfarrer Mag. Werner Geißelbrecht (Lutherische Stadtkirche Wien)

 

„Die Passion Christi“

 

Pünktlich am Aschermittwoch ist in den USA „Die Passion Christi“ angelaufen, der heiß umstrittene Jesus-Film von Mel Gibson. In Österreich ist der Streifen noch nicht zu sehen. Gelesen habe ich aber schon von den ersten Reaktionen. Die einen loben die angeblich bibeltreue und realistische Verfilmung der letzten 12 Stunden im Leben Jesu, die anderen kritisieren das Werk als blutrünstige religiöse Pornografie.

Nun bin ich kein Fan von Orgien der Gewalt im Kino. Trotzdem kann ich Mel Gibson ein wenig verstehen, wenn er vor allem die Kreuzigung ohne jede Beschönigung als das darstellen will, was sie nun einmal tatsächlich war: nackte Gewalt, eine äußerst brutale, todbringende Folter im Römischen Reich.

Immer wieder gab es im Christentum Bewegungen, die ihren spirituellen Weg darin gesehen haben, sich intensiv in die Betrachtung der Leiden Jesu zu versenken. Manchmal vielleicht aus religiöser Spinnerei, mag sein auch aus einer abgründigen Lust an der Gewalt. Oft aber ganz sicher auch auf der Suche nach einer tiefen, echten Begegnung mit dem Geheimnis des christlichen Glaubens.

Was könnte es uns bringen, der Brutalität und Grausamkeit der Kreuzigung Jesu wieder einmal schonungslos ins Auge zu blicken – auf Leinwand, im Großformat?

Mag sein, dass sich uns durch die großen Emotionen, die das Kino wecken kann, ein neuer Zugang eröffnet zu dieser grundlegenden Erzählung vom Leben und Sterben des Menschensohns unter den Menschen. Mag sein, dass die Konfrontation mit seinem Leiden uns zum Nachdenken bringt über das Leid um uns herum. Zum Nachdenken auch über eigenes Leid? Mag sein, dass es uns sensibler macht für das, was wir imstande sind, anderen anzutun.

Es kann heilsam sein, sich den dunklen Seiten des Lebens zu stellen. Es ist aber auch riskant und gefährlich. – Die ersten Reaktionen auf den Film zeigen, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen sind. Manche Besucher berichten, die Botschaft Jesu von der Menschen- und Gottesliebe hätte sie durch diesen Film ganz neu erreicht und berührt. Andere scheinen die Predigt Jesu von der Liebe überhört zu haben. Im Gegenteil: Sie fühlen sich bestätigt in ihrem Antisemitismus und Judenhass. Da sähe man es ja wieder: Die Juden haben Jesus ermordet. Und dafür sollen sie büßen.

Wenn ewig-gestrige Rassisten im neuen Jesus-Film ihre unheilvollen Vorurteile bestätigt finden, macht das natürlich nachdenklich. Und ich verstehe die ärgerliche und auch ängstliche Reaktion jüdischer Einrichtungen. Dass der Film nämlich antijüdische Tendenzen hat, kann ich mir durchaus vorstellen. Auch in den Evangelien finden sich ja leider entsprechende Anklänge – das haben die Kirchen inzwischen schmerzlich erkannt. So, wie wir gelernt haben, die Bibel diesbezüglich sehr kritisch zu lesen, wird es darum auch nötig sein, im Kino wachsam zu bleiben. Welche Saiten der Film tatsächlich in uns zum Schwingen bringt, wird jedenfalls davon abhängen, welcher Geist in unseren Köpfen und Herzen wohnt.

Wer meint, dass es ja manchmal ganz heilsam sein kann, aufgeschreckt und verstört zu werden, wer offen dafür ist, sich von der Passion Christi inspirieren und bewegen zu lassen, der kann es ja einmal versuchen mit diesem Film. Oder er verzichtet auf die blutrünstige Inszenierung und geht einfach am Karfreitag in die Kirche seines Vertrauens zum Gottesdienst.