Das Evangelische Wort

Sonntag, 11. 04. 2004,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Senior Mag. Klaus Niederwimmer,
Johanneskirche Klagenfurt

 

Besondere Feste haben besondere Bräuche. Das ist zu Weihnachten so und beim Osterfest ist es nicht anders.

 

Wer erinnert sich nicht gerne an die Osterhasen oder das Suchen der Osternester im Garten. Oder was wäre Ostern ohne die vielen bunten Ostereier, von denen wir meist zu viele verzehren.

 

Es gibt aber auch Bräuche in der Welt, die uns weniger bekannt sind. Gerade sie können uns helfen, den tiefen Sinn des Osterfestes wieder neu in den Blick zu bekommen und zu bedenken.

 

Ich möchte Ihnen gern von einem Osterbrauch aus Frankreich erzählen, der den seltsam anmutenden Namen „Osteraugen“ trägt:

In der Gegend des Piemont gibt es diesen alten Brauch. Wenn am Morgen des Ostersonntags zum ersten Mal die Glocken läuten, laufen Kinder und Erwachsene an den Dorfbrunnen und waschen sich die Augen mit dem kühlen, klaren Brunnenwasser.

 

Manche wissen wahrscheinlich gar nicht mehr, warum sie zum Brunnen laufen - wie so oft bei Bräuchen - sie rennen einfach mit den anderen mit.

 

Aber die ganze Handlung war ursprünglich eine Art Gebet, in dem die Menschen um neue Augen, um "Osteraugen" baten. Sie wollten besser sehen, besser einsehen können, was durch die Auferstehung anders geworden ist in ihrem Leben; Sie wollten besser den Auferstandenen sehen, den, der nicht mehr tot ist, sondern lebt - mitten unter uns.

 

Mich erinnert dieser Brauch an das Osterevangelium, so wie es Johannes überliefert:

Weinend steht Maria aus Magdala am Ostermorgen vor dem Grab Jesu. Fassungslos starrt sie in das leere Grab - nicht einmal die dort weilenden Engel können ihre Tränen stillen. Als sie sich umblickt und mit einem Mann ins Gespräch kommt, meint sie, es sei der Gärtner. Ihre Tränen machen sie blind, so blind, dass sie Jesus zuerst nicht erkennt. Erst, als er sie bei ihrem Namen nennt, gehen ihr Augen und Ohren auf. Sie erkennt, dass Jesus nicht tot ist, sondern dass er auferweckt worden ist, dass er wirklich lebt.

Die Begegnung mit ihm hat ihr „Osteraugen" geschenkt.

 

Erfahrungen von persönlichem Leid, die Ohnmacht gegenüber dem Terror und der Gewalt in der Welt können einem tatsächlich die Tränen in die Augen treiben. Menschen werden blind für die Zeichen des Lebens und der Hoffnung. Der Sinn, der hinter manchem Schicksal steht, ist nicht erkennbar; müde und matt neigen sie zur Resignation, denn Sterben und Tod haben ja doch das letzte Wort in dieser Welt.

 

Woher können dennoch neue Hoffnung und Lichtfunken kommen? Ist da jemand, der mich anspricht, wie Jesus es mit Maria aus Magdala tut? Jemand, der mich bei meinem Namen nennt, der mich herausrufen kann aus meinem Leid, aus meiner Trauer, aus meiner Resignation?

 

Jesus sieht Maria an, er spricht sie an - und so ruft er sie heraus aus ihrer Trauer und Lethargie.

 

Wir alle brauchen jemanden, der uns zu neuem Leben ruft; der uns Hoffnung schenk gegen die scheinbare Allmacht des Todes.

 

Ostern ist für mich der Protesttag gegen den Tod, gegen alle Resignation und Hoffnungslosigkeit das Leben zu feiern.

Jesus hat den Tod besiegt!! Nicht nur seinen eigenen, sondern auch unseren Tod; Und auch die vielen Tode, die wir schon im Leben sterben.

 

Jesus begegnet der Maria und er kann und will auch uns heute begegnen. Er will uns Mut machen, die Tränen abzuwischen von unseren Augen und die Tränen derer, denen schweres Leid den Blick in die Zukunft verstellt. In der Begegnung mit Menschen, die „Osteraugen“ geschenkt bekommen haben, kann auch das Leid anderer gelindert werden.

 

Machen wir es doch wie die Menschen in Frankreich, die sich am Ostermorgen die Augen waschen. Waschen wir unsere Augen mit dem Wasser dieses neuen Lebens, das am Ostermorgen sichtbar wird.

 

Feiern wir das Osterfest als großes Hoffnungsfest. Lassen wir uns die Augen öffnen für die Botschaft des neuen Lebens, das mit der Auferstehung Jesu anbricht.