Das Evangelische Wort

Sonntag, 18. 04. 2004,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Pfarrerin Renate Moshammer, Agoritschach/Arnoldstein, Kärnten

 

 

Quasimodogeniti – der Name des heutigen Sonntags hat mich schon immer fasziniert.

Er klingt so seltsam, so fremd – fast wie ein Zauberwort.

 

Faszinierend ist nicht nur der Name, sondern auch der Gedanke, der dahintersteht.

 

In der Alten Kirche, in der noch vorwiegend Erwachsene getauft worden sind, ist die Osternacht die traditionelle Taufnacht gewesen. Am Sonntag nach Ostern sind die Neugetauften noch einmal in ihren weißen Taufkleidern in den Gottesdienst gekommen. Weiß – ein Zeichen der Unschuld, ein Zeichen des Neubeginns.

 

Neu und unschuldig, „wie die neugeborenen Kinder“ – das bedeutet das Wort „Quasimodogeniti“.

 

Wie neugeborene Kinder können Menschen sein,  die durch die Taufe mit Christus verbunden sind. – Das ist ein Versprechen.

 

Wie neugeborene Kinder – ohne Angst vor dem Morgen, ohne Vorurteile, ohne Hass.

 

Wie neugeborene Kinder – von Liebe umgeben, voll Vertrauen, voller Möglichkeiten, ein unbeschriebenes Blatt, neugierig auf das Leben.

 

Wie neugeborene Kinder sollen Menschen sein, die Ostern erfahren haben. Ostern, dieses Fest der Gegensätze, in dem wir in die Spannung hineingenommen sind zwischen Trauer, Angst und Tod und der Gewissheit eines neuen Lebens, das aus dem Dunkel des Todes hervorbricht.

 

Wie neugeborene Kinder sollen wir auf dieses Leben zugehen und es weitertragen.

Das ist unser Auftrag.

 

„Wie neugeborene Kinder nach der Milch schreien, so sollt ihr nach dem unverfälschten Wort Gottes verlangen, um im Glauben zu wachsen und das Ziel, eure Rettung, zu erreichen.“ können wir im 1. Petrusbrief lesen. (1. Petr. 2,2)

 

Dieses Bild gefällt mir. Gottes Wort kommt zu uns und füllt uns aus.

Es stillt unseren Hunger, den Hunger nach Leben und den Durst nach Geborgenheit.

 

Es lässt uns wachsen und reifen – Dieses Wort, das in Jesus Christus greifbar und angreifbar geworden ist. Dieses Wort, das im Ans-Kreuz-Gefesselten auch von meiner Befreiung spricht. Dieses Wort, das im Auferstandenen auch meinen Tod durchbricht.

 

Dieses Wort kommt. Ich kann es aufnehmen wie ein neugeborenes Kind, das von der Milch seiner Mutter trinkt. Ohne dass ich vorher Leistungen erbringen muss.

Ohne dass ich mich unter Beweis stellen muss, beweist Gott mir seine Liebe.

Er nimmt mich an, er nimmt uns an – als seine Kinder.

 

Manchmal wünsche ich mir, dass ich meine Welt noch einmal so sehen könnte wie ein Kind: Staunend und doch wie selbstverständlich vertraut mit den Wundern, die mir jeder Tag, jede Stunde, jede neue Begegnung bringt.

 

Manchmal wünsche ich mir, ich könnte noch einmal von vorne beginnen. Frei, ohne die Erinnerungen, die mich binden, ohne die Furcht, die mich lähmt, ohne die Sorge, dass ich doch nichts ändern kann.

 

Der heutige Sonntag erinnert uns an die Chance, die in unserem Leben und in unserem Glauben steckt: Gott nagelt uns nicht fest auf das, was einmal gewesen ist, auf unsere Fehler, auf unser Scheitern. Was immer schon so gewesen ist, muss noch lange nicht immer so bleiben. Wir können neu beginnen. Wir können die weißen Kleider des Neubeginns und der Unschuld tragen. Wir können uns auf den Weg machen, unser Ziel vor Augen. Gott selbst gibt uns dieses Ziel vor und wird uns dabei zu Kompass und Proviant. Er lässt uns wachsen und reifen durch sein Wort.

 

Er schenkt uns die Kraft, einen Neubeginn zu wagen, die Welt mit neuen Augen zu sehen und uns als seine Kinder zu bewähren, wenn wir auf sein Wort vertrauen.

 

Denn, so schreibt Petrus: „Wie neugeborene Kinder nach der Milch schreien, so sollt ihr nach dem unverfälschten Wort Gottes verlangen, um im Glauben zu wachsen und das Ziel, eure Rettung, zu erreichen.“