Das Evangelische Wort

Sonntag, 25. 04. 2004,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Oberkirchenrat Dr. Michael Bünker

 

(1. Petrus 3, 14b-16a): „Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; heiligt aber den Herren Christus in euren Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist, und das mit Sanftmut und Gottesfurcht, und habt ein gutes Gewissen!“

 

Protestiere für deinen Nächsten – wie für dich selbst!

 

Heute gehen in Speyer in der Pfalz die Festtage zu Ende, mit denen der Geburtstag des Protestantismus gefeiert wurde. Vor 475 Jahren erblickte die Bezeichnung „Protestanten“ das Licht der Welt.

Es war am zweiten Reichstag von Speyer, 1529. Die Länder und Städte in Deutschland waren gespalten: auf der einen Seite die sogenannten Altgläubigen, die Katholischen, die treu bei Rom blieben, auf der anderen Seite die Anhänger der Reformation, die eine Erneuerung der Kirche  anstrebten. 

 

Auf dem Reichstag von Speyer versuchte die katholische Mehrheit, über die evangelische Minderheit drüberzufahren. Eine Mehrheitsabstimmung wurde erreicht, die unterlegene Minderheit sollte das stillschweigend akzeptieren. Das ist aber nicht geschehen: „Wir protestieren hier vor Gott, unserem einigen Erschaffer, Erhalter, Erlöser und Seligmacher, der allein unser aller Herzen erforscht und kennt und richten wird“ mit diesen Worten legen die Evangelischen ihren Protest ein. Seitdem eben: Protestanten! Auch eine Minderheit hat Rechte, und wenn es um die Wahrheit geht, nicht irgendeine, sondern um die letzte Wahrheit, für die jeder und jede mit dem eigenen Leben geradezustehen hat, dann kann nicht die Mehrheit bestimmen und die Minderheit soll sich fügen. Die Berufung auf Gott, auf Jesus, auf den einzigen Herrn, macht die Kritik an den weltlichen Herren möglich, an allen, die umfassend, total, bestimmen wollen, wie die Menschen leben sollen, was sie denken sollen, aber auch, was die Menschen glauben sollen. Dagegen richtet sich evangelischer Protest, das heißt Einspruch aus dem Geist des Evangeliums, im Namen Gottes, im Namen Jesu Christi. Das ist eine immer aktuelle Botschaft, in den Zeiten von Diktatur und totalitäre Regimen ganz besonders, aber auch heutzutage, wo die Ideologie eines monopolisierten Marktes bestimmen will, was letztlich gilt. Protest wird auch dagegen laut, Gott sei Dank sage ich, Protestantinnen und Protestanten haben noch genug zu tun und Protestantismus hat einfach überhaupt immer Saison.

 

Das ist die Erfolgsgeschichte von Speyer. Es gibt aber auch eine dunkle Seite, eine Schuldgeschichte. Sie soll heute nicht verschwiegen werden. Am selben Reichstag, wo die Evangelischen gegen die Katholischen ihren Protest eingelegt haben, haben diese beiden miteinander die unnachgiebige Verfolgung der Täufer beschlossen. Es folgten einige wenige Jahre einer äußerst brutalen Verfolgung und massenhafter Hinrichtungen der Menschen, die sich zum Täufertum zählten. Schon ein Jahr davor war in Wien Balthasar Hubmair mit seiner Frau Elsbeth getötet worden, wie ein grauslicher Auftakt, und ab 1529 waren es Hunderte und Tausende, die ihr Leben gelassen haben. Ihr Glaubensmut wird von den Augenzeugen bewundert, die Männer lachten angeblich über das Feuer, das ihnen schon entgegen loderte, die Frauen lachten über das Wasser, in dem sie ertränkt werden sollten.

 

In der Verfolgung der zumeist gewaltfreien Täuferinnen und Täufer zeigt die protestantische Tradition, meine Kirche, ein Gesicht, auf das ich nicht stolz bin. Ich schäme mich dafür.

 

Die Menschenrechte sind eben nicht teilbar. Niemand kann für sich ein Grundrecht in Anspruch nehmen und es gleichzeitig anderen vorenthalten. Vielleicht ist das die Lehre, die die evangelischen Kirchen aus dem Reichstag von Speyer ziehen können. Protest ist notwendig, er ist besonders berechtigt, wenn er nicht nur für die eigene Sache laut wird, sondern für die Rechte der anderen. Zum Beispiel für die obdachlosen Asylwerber hier bei uns. In freier Abwandlung des biblischen Liebesgebotes: Protestiere für deinen Nächsten wie für dich selbst!