Das Evangelische WortSonntag, 02. 05. 2004, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Pfarrerin
Gabriele Lang-Czedik (Wien) „Familienforschung
ist wieder in. Gerade auch junge Leute kramen wieder in den
Dokumenten Ihrer Vorfahren - mit den großen Fragen im Hintergrund:
Wo komm’ ich überhaupt her? Wo g’hör’ ich eigentlich hin?
Und um das herauszufinden, scheuen sie oft keine Mühe. Viele
unternehmen Reisen in die Herkunftsländer ihrer Ahnen, heben dort
in Standesämtern Unterlagen aus, suchen die Ortschaften auf, wo
ihre Vorfahren gelebt haben. Manche machen es
sich auch einfacher: Sie klicken im Internet ihren Familiennamen an
und hoffen aufgeregt, dass sie so auf Verwandte stoßen, die sie
bisher noch nicht gekannt haben. Und wenn es
gelingt, dann kommt der Versuch, per email Kontakt aufzunehmen –
und die gespannte Frage: Wie sind wir denn eigentlich verwandt? Und
da gibt es manchmal Überraschungen: Was? Sie sind der ledige Sohn
meiner Tante? Ich dachte, die hatte gar keine Kinder! Und Sie sind
die Tochter aus der ersten Ehe meines Vaters? Davon hat er uns ja
gar nie erzählt… Da habe ich ja jetzt eine Halbschwester, ohne es
je geahnt zu haben! Und dann wird
manchmal ein großes Familientreffen veranstaltet - mit bekannten
und mit ganz neuen Gesichtern… Ganz schön
aufregend, bei so einem Treffen auf ganz neue Verwandte zu stoßen,
so plötzlich von Angesicht zu Angesicht… Gestern haben wir
so ein Familienfest gehabt… wir, ich mein’, die Familie
Europa… Und da sind sie
gekommen, all die neuen alten Verwandten… Die Tante aus Polen und
die Halbschwester aus Ungarn, die Cousine 2. Grades aus Malta und
der Großonkel aus Lettland und all die anderen… Was für ein
Erstaunen auf unserer Seite: Und die haben alle denselben
Familien-Namen wie wir, „Europa“? Gar nicht so
leicht, sie wirklich in die Arme zu schließen… Die Tante aus
Polen kommt mir ja bekannt vor, aber bisher habe ich sie immer für
meine Bedienerin gehalten und jetzt sind wir verwandt und sitzen am
selben Kaffeetisch und essen Kuchen miteinander… sonderbar… Aber da erzählt
sie mir schon, dass der Onkel arbeitslos ist, wie so viele in
Oberschlesien, wo die ganzen Kohlegruben nach der Wende geschlossen
worden sind - und das, wo er sich früher doch auch für die
Solidarnosz engagiert hat… Ja, aber dafür
hat Gott sei Dank ihre Tochter inzwischen einen guten Job in einer
westlichen Firma in Breslau… Und während ich
ihr den Zucker hinüber reich´, merk’ ich, wie sehr ihr Gesicht
doch dem meiner verstorbenen Großmutter ähnlich schaut… Und dann
denk’ ich als Christin an den Satz aus einem Brief des Apostels
Paulus an die Brüder und Schwestern in fernen Ephesus in
Griechenland (Eph. 2, 14): „Er, Christus, ist ja unser Friede, der
aus uns beiden eins gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der
zwischen uns war…“ Dann kommt unsere
Halbschwester aus Ungarn auf mich zu und erinnert mich: Bis 1920
waren unsere Familien zusammen mit demselben Großvater. Dann die erste Ehe
vom Vater, aus der sie stammt, und dann seine zweite, aus der meine
Geschwister und ich kommen… Stimmt, irgendwann hab ich’s
gewusst, aber hinter dem eisernen Vorhang sind sie dann verschwunden
und wir haben daheim nie mehr von ihnen gesprochen. Aber jetzt
fallen wir zwei uns in die Arme und wir planen, dass unsere Söhne
je ein Austausch-Semester beieinander machen könnten, ihrer in Wien
und meiner in Budapest… Aber während wir
noch planen strahlt mich die Cousine aus der Slowakei an: „Hey,
ich hab g’rad gehört, das Du auch evangelisch bist! Ist das
wahr?“ „Ja“, sag´ ich, „obwohl wir in Österreich da ja nur
eine kleine Minderheit sind…“ „Wir ja auch“,
meint sie. „So 11 % Evangelische ungefähr, sonst sind in der
Slowakei auch fast alle katholisch…“ Gleich kommen wir ins
Tratschen. Da zeigt mir der
Cousin aus Estland sein Handy – es ist viel moderner als meines -
und er fragt mich, warum wir in Wien beim Heurigen damit nicht
elektronisch zahlen können? Die Nichte aus
Malta lädt mich ein zu einem Urlaub auf ihre schöne Insel ein.
„Aber auch Zypern ist herrlich!“, betont der griechischsprachige
Onkel, „wenn Dir die Teilungslinie nichts ausmacht…“ Es war schön
gestern, meine 10 neuen Verwandten kennen zu lernen.
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