Das Evangelische WortSonntag, 27. 06. 2004, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Pfarrer Dr. Gerold Lehner (Wien) Wir
woll’n uns gerne wagen, in
unsern Tagen der
Ruhe abzusagen, dies Tun vergisst. Wir
woll’n nach Arbeit fragen, wo welche ist, nicht
an dem Amt verzagen, uns
fröhlich plagen und
unsre Steine tragen aufs Baugerüst. Eines
meiner Lieblingslieder aus dem evangelischen Gesangbuch. Ich mag den
Ton, den es anschlägt. Es ist nicht depressiv, im Sinne von: es ist
alles so schlimm. Es ist aber auch nicht naiv optimistisch, im Sinne
von: glaube nur und alles ist gut. Nein.
Wir müssen uns plagen. Das Leben ist anstrengend. Das ist so. Da
wird nichts beschönigt. Es geht um Arbeit. Steine aufs Baugerüst
schleppen. Das klingt nicht nach lustig. Das klingt nach harten,
schweren Steinen, nach gebeugtem Rücken, protestierenden
Bandscheiben, Mücken und Schweiß. Das
Leben, eine Baustelle. Mann o Mann. Umso
lieber ist mir der Ton, den das Lied anschlägt. Es ist nicht nur
von der Plage die Rede. Sondern von der fröhlichen Plage. Kann
Mühe und Plage fröhlich sein? Scheinbar doch. Da ist von Frauen
und Männern die Rede, die aufgehört haben, sich zurückzulehnen;
die aufgehört haben aus der sicheren Distanz jene zu kritisieren,
die etwas tun. Es
ist die Rede von Frauen und Männern, die nicht nur etwas wagen,
sondern sich selbst wagen, aufs Spiel setzen, ins Spiel bringen. Es
ist die Rede von Christinnen und Christen die nicht mehr jammern,
wie schlecht die Welt doch geworden ist, sondern die sich auf die tägliche
Mühsal einlassen. Die
tägliche Mühsal in der Familie, die tägliche Mühsal in der
Arbeit. Und die daran nicht verzagen. Denn es ist ein Amt, ein
Auftrag, ein Dienst, als Christ und als Christin in dieser Welt zu
leben. Unser Tun, und sei es das kleinste, ist nicht sinnlos. Wir mühen
uns ab, wir plagen uns fröhlich auf einem Baugerüst. Und das heißt
ja wohl, da entsteht etwas. Etwas Großes, etwas Gutes, ein Raum des
Lebens. Ja, möglicherweise bauen wir mit, an Gottes neuer Welt. Die
Liebe wird uns leiten, den
Weg bereiten und
mit den Augen deuten auf mancherlei ob’s
etwa Zeit zu streiten, ob’s Rasttag sei. Wir
sehen schon von weitem Die
Grad und Zeiten Verheißner
Seligkeiten: nur treu, nur treu! Und
wieder: dieser Ton, ich liebe ihn! Tatsächlich, hier ist die Rede
davon, dass es auch einmal Zeit zum Rasten sein kann. Zeit alles
hinzulegen, Zeit Abstand zu nehmen, Zeit der Erholung, wo ich mir
das hole, was ich brauche. Zeit der Rekreation, wo ich gleichsam neu
und frisch werde wie am ersten Schöpfungstag. Aber,
es kann auch noch eine andere Zeit geben. Eine Zeit, wo man die
Steine liegen lässt und anfängt zu streiten. Streiten nicht weil
ich oder der andere so blöd ist, sondern, weil es gleichsam sein
muss. Auseinandersetzung, Ringen, lautstarkes Ringen darum, was
richtig und wichtig und gut ist. Das ist doch schön! Und das ist
doch befreiend! Die christliche Kardinaltugend ist scheinbar doch
nicht die Ruhe, sondern auch der Streit ist nötig, ist notwendig.
Da lobe ich mir die Weisheit und die Unverkrampftheit dieses Liedes. Und
auch das, was es dazu zu sagen hat: Ob es Zeit zu rasten ist, oder
Zeit zu streiten, das bestimmt, das sagt: die Liebe. Nicht
der Stolz, nicht verletzte Eitelkeit, nicht die Sucht etwas zu
gelten und wichtig zu sein. Die Liebe sagt, was dran ist. Und die
Liebe kann sagen: es ist Zeit für eine Pause. Halt inne. Der
Herzinfarkt ist nicht das nonplusultra christlichen Engagements. Und
die Liebe kann sagen: Halt: Lasst uns das nicht mehr zudecken. Lasst
uns das aussprechen. Lasst uns streiten. Ein
erstaunliches Lied. Es
hat noch mehr Strophen. Aber
diese beiden wollte ich ihnen schenken für diesen Sonntagmorgen.
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