Das Evangelische Wort

Sonntag, 04. 07. 2004,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Dr. Jutta Henner (Wien)

 

„Geh schau mal, was da drüben liegt! Was ist das? So etwas habe ich ja noch nie gesehen! Hallo - was bist Du?“

„Ich bin die Bibel“

„Die Bibel?“

„Viele Menschen haben mich zuhause in ihren Bücherregalen stehen, aber sie greifen mich meistens nur an, wenn sie mich abstauben. Dabei hätte ich ihnen so viel zu sagen! Ich bin voller Geschichten, die vom Leben erzählen....“

 

Diesen Text haben Schüler einer 4 Wiener Volksschulklasse geschrieben und szenisch aufgeführt. Die Kleinen begegnen einem riesigen Buch, der Bibel.

 

In diesen Tagen geht das Schuljahr zu Ende. Mich hat in diesem Schuljahr vor allem der bundesweite ökumenische Schülerwettbewerb „Bibel in Kultur und Gesellschaft“ beschäftigt, bewegt und zunehmend begeistert. 170 Einsendungen aus allen Altersgruppen und Schultypen geben Zeugnis von einem geradezu sensationellen Engagement der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Lehrerinnen und Lehrer rund um die Bibel. CD’s, DVD’s, Videos, Ordner, Mappen, Bilder, Plastiken, Zeichnungen, Mosaike und vieles mehr wurden eingesandt. Überwältigend ist die Buntheit, die Lebendigkeit und die Begeisterung, die aus der Begegnung der Schülerinnen und Schüler mit der Bibel herausstrahlt. Da ist keine Spur von „Verkopftheit“, von Buchstabenfrömmigkeit oder Verstaubtheit. Schmecken und Sehen, Tanzen und Spielen, Malen und Singen, Filmen und Bauen, Rappen und Sprayen, die Liste der Möglichkeiten, der Bibel und ihrer Botschaft am Beginn des dritten Jahrtausends zu begegnen, ließe sich noch lange fortsetzen. Monatelang, auch in der Freizeit, nachmittags und am Wochenende stand die Bibel in vielen Schulen im Zentrum. Entdeckt wurde dabei überall eine Begegnung mit der Bibel, die über den Kopf hinausgeht, die Herz und Mund, Hand und Fuß erfasst. Neue unkonventionelle, erfrischende und unmittelbare Zugänge zur Bibel wurden erlebt als schöpferisch, befreiend und beflügelnd. Gerade so, wie es die Bibel ja selbst sein will! „...es is‘ ne coole Story und kein alter Schinken“ - heißt es in einem der eingesandten Raps. Lustvolle, sinnenhafte Begegnung mit der Bibel hat, so die einhellige Meinung aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer, riesig Spaß gemacht, es hat sich gelohnt.

 

Ich möchte die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler werten als ein Plädoyer für die bleibende Aktualität der Bibel und ihrer Botschaft. Ich möchte sie auch werten als Aufforderung zu einem unverkrampften, bedingungslosen sich Einlassen auf die Bibel. Denn gerade bei der intensiven und kreativen Beschäftigung mit der Bibel wurde die existentielle Bedeutung, aber auch die gesellschaftspolitische Sprengkraft der Bibel erfahrbar. In einem eingesendeten und prämierten Moses-Rap heißt es: „Hey, mach dich doch mal locker, sagte Gott mit Entzückung, ich selber habe Mittel gegen Rassenunterdrückung“.

Nicht das Pochen auf ein vermeintlich christliches Abendland und seine Traditionen und Äußerlichkeiten ist angesagt. Das persönliche Entdecken, dass die Bibel nicht veraltet ist, ist durch nichts zu ersetzen. Die Bibel ist viel zu schade, um sie Sektierern, Fundamentalisten zu überlassen und denen, die sie für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren.

 

Die Szene, in der die Kinder einer 4. Wiener Volksschulklasse dem riesigen Buch der Bibel begegnen, endet daher so: „Und dann begann die Bibel zu erzählen. Viele Tage und Nächte saßen sie so beisammen und die Geschichten erzählten wirklich vom Leben so wie es damals war und auch heute noch ist. Man musste nur genau hinhören, dann konnte man sich in jeder Geschichte wiederfinden.“

 

Genau hinhören, sich auf die Bibel und ihre Botschaft einlassen und sich freimachen von Traditionen und Konventionen, sich von ihr herausfordern und befreien lassen. Dazu muss man nicht unbedingt Schüler sein! Von ihnen kann man es aber offensichtlich lernen.