Das Evangelische WortSonntag, 29. 08. 2004, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von Diakon Michael Kamauf
Ich
hab schon oft erlebt, wie schwer es ist, Vertrauen,
Freundschaft und dauerhafte, ehrliche Liebe zwischen Menschen
aufzubauen. Wie leicht hingegen ist es, Freundschaften relativ rasch
zu beenden, wenn
sich Misstrauen und Streit in die zwischenmenschlichen
Beziehungen einschleichen. Einmal gebrochenes Vertrauen ist kaum
mehr wiederherzustellen. Auf der ganzen Welt tun sich Menschen
schwer, Frieden
zu halten. Scheinbar ist es wesentlich einfacher, mit Gewalt, Streit
und auch Vernichtung auf Konflikte zu antworten, anstatt durch Gespräch,
Geduld und Mitgefühl nach gewaltlosen Lösungen zu suchen. Paulus
schreibt an die Gemeinde in Ephesos: “Lasst
die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen” In
Kürze beginnt wieder das neue Schuljahr. Ich bin als Sozialarbeiter
und Diakon mit Konfliktbewältigung und Kommunikation in der
Berufsschule beschäftigt und beauftragt. Das ist gerade für einen
ehem. Berufsschüler und Lehrling - wie ich es bin - eine spannende
und schöne Aufgabe. In der Berufsschule befinden sich junge
Menschen im Spannungsfeld zwischen
Schule und Arbeitsplatz, was
mitunter ein konfliktreiches Gespann ist! Und ... gerade Jugendliche
erlebe ich in ihrem Umgang mit Konflikten als nahezu kompromiss- und
oft auch gnadenlos. Einmal
hatte ich einen Streit zwischen zwei Klassen zu schlichten es ging
dabei um das scheinbar ewige Thema “Inländer gegen Ausländer”.
Für mich war erstaunlich, wie leicht sich rund 18-jährige, also
vor dem Gesetz erwachsene Menschen, und noch 15-jährige Jugendliche
gegenseitig provozieren können. In Gesprächen kam eine Fülle von
Vorurteilen heraus, die
fast nicht bewältigbar schienen - erst nach und nach konnten wir im
Gespräch ein Umdenken herbeiführen und anregen. Frieden
war wieder einmal harte Arbeit. Damals
kam beim Klassengespräch heraus, dass “Abgrenzung und Vorurteile
gegenüber unseren Mitmenschen” wohl auch zur Überwindung der
“eigenen dunklen Flecken” seinen Sinn hat.
Wesentlich
schwieriger ist das Gespräch und die gewaltfreie Vermittlung
zwischen Streitparteien. Das
war wohl die wichtigste Erkenntnis der jungen Menschen
gewesen.Gewalt ist auch ein gesellschaftlich legitimes Mittel -
zumindest für die sogen. “legale Gewalt” wie Polizei und Militär. Es
fällt schwer angesichts von Kriegen und Terror an eine
”friedliche, göttliche Gegenwelt” zu glauben. Der
Bibelsatz „Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen“ ist
für mich ein kraftvolles,
praktisches, schön klingendes Bild: “Wer
es NICHT mehr schafft am Ende des Tages versöhnt mit sich und den
Mitmenschen schlafen zu gehen, wird von seinen möglicherweise
gewalttätigen Träumen überwältigt werden.” “Lasst
die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen” schreibt
Paulus an die Gemeinde in Ephesos. Und der Apostel zeigt sich
seelsorgerlich - heute
sagen wir einfühlsam. Ich
schlafe nicht gut, wenn ich mit der berühmten “Wut
im Bauch” mich in den Bettpolster zu verkriechen versuche. Es wird
mit Sicherheit kein erholsamer Schlaf, wenn ich vor lauter Hass
eigentlich gar nicht schlafen kann. Paulus
weiß, dass der Mensch, wenn er zornig ist, nicht ausgeglichen sein
kann. Er weiß, dass es im Zorn nicht möglich ist, an Gott zu
glauben. Und er weiß, dass der Mensch dann zur Liebe NICHT fähig
ist. Paulus
weiß, dass Gott eine Welt des Friedens und der Menschenliebe will. “Lasst
die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen” das
könnte zur Lebensphilosophie, zum
Lebensprogramm werden. Dieser
Satz ist für mich eine echte Therapie, eine Therapie gegen
nachhaltigen Hass und Gewalt. Streit,
Konflikt und Zorn gibt es: das sind menschliche Gefühle. Doch jeder
Streit und jeder Zorn sollte die Nacht nicht überleben dürfen. Mit
dieser “Bilanz des
Friedens” und der positiven Einstellung zur Versöhnung kann ich
alle Nächte des Lebens überleben, die
erfreulichen und die angstmachenden ebenso!
Unser
Zorn wird im “milden Licht der Abendsonne” mit
untergehen, und der
Mensch wird frei! Jeder
Tag kann befreit und neu begonnen und gelebt werden, jeder
Tag wird freundlich empfangen, weil
jeder Tag auch Freude bringt.
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