Das Evangelische Wort

Sonntag, 05. 09. 2004,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

Pfarrerin Ingrid Tschank
(Gols, Burgenland)

 

Morgen um diese Zeit wird es schon viel Aufregung, vor allem bei den Erstklasslern und ihren Eltern geben. Denn morgen fängt in Ostösterreich die Schule an. Und nichts wünschen sich Eltern, Lehrerinnen und Lehrern sehnlicher, als dass die Kinder gerne in die Schule gehen. So wie Annika, Pipi Langstrumpfs Freundin, sie findet die Schule lustig.

 

„Wenn du wüsstest, wie lustig es in der Schule ist“, beteuerte Annika. „Ich würde verrückt werden, wenn ich nicht hingehen dürfte.“

Pippi sagte nichts, sie wackelte nur mit den Zehen.

„Man braucht nicht so schrecklich lange dazubleiben, nur bis zwei Uhr.“, fuhr Thomas fort.

„Ja, und dann bekommt man Weihnachtsferien und Osterferien und Sommerferien“, sagte Annika.

Pippi biss sich nachdenklich in ihre große Zehe, saß aber weiter schweigend da. „Das ist ungerecht“, sagte sie. „Das ist absolut ungerecht! Ich lasse mir das nicht gefallen! In vier Monaten ist Weihnachten, und da bekommt ihr Weihnachtsferien. Aber ich, was bekomme ich? Keine Weihnachtsferien, nicht das allerkleinste bisschen Weihnachtsferien“, sagte sie klagend. „Das muss anders werden. Morgen fang ich mit der Schule an.“

 

Auch für mich beginnt morgen in der Früh die Schule, aber nicht im Schulgebäude, sondern in der Kirche. Statt der Schulglocken läuten zuerst die Kirchenglocken und laden alle zum Schulanfangsgottesdienst ein. In Gottes Namen fangen wir an und mit der Kraft und der Zuversicht, die in Gottes Segen uns geschenkt wird.

Gerade beim Übergang in neue Lebensabschnitte kennt die Bibel den Segen. Wie wäre es, das eigene Kind in den Schulanfangsgottesdienst zu begleiten, oder es selbst zu segnen, dort, wo es dieses Angebot nicht gibt? Früher haben Eltern ihre Kinder selbstverständlich gesegnet, wenn sie sich auf neue Wege begeben haben. Eine Berührung am Kopf, an der Schulter oder an der Hand. Ein kurzer Segensspruch genügte. Er genügt auch heute

 

„Der Herr segne dich

und er behüte dich auf allen deinen Wegen.

Amen.“

 

Im Segen ermutigen und stärken wir unser Kind, im Segen geben wir ihm Anerkennung und Liebe, damit es weiß und spürt, dass es so geliebt wird wie Gott es geschaffen hat.

Gerade im Blick auf schulische Leistungen, die in großer Zahl heute in allen Schulstufen gefordert werden, gilt es an dem christlichen Grundsatz festzuhalten: Wir sind mehr wert als unsere Leistungen. Wir leben nicht von dem, was wir schaffen und leisten, sondern davon, dass uns jemand vorbehaltlos akzeptiert. Astrid Lindgren hat einmal gesagt. „Kinder sind das Beste, was unser Herrgott geschaffen hat“. Das gilt auch für Schulkinder, die nicht immer nur gute Noten nach Hause bringen.

 

Das wichtigste, was wir als Erziehungsberechtigte und als Pädagoginnen und Pädagogen für das Kind tun können, das ist, es mit Zuwendung, mit Anerkennung und mit Liebe zu beschenken, nicht nur mit großen Schultüten, mit neuen Kleidern und mit teuren Unterrichtsmaterialien. Denn nichts erzeugt so viel Leistungsbereitschaft wie Aufmerksamkeit, Ermutigung und Lob. Ein Kind, das merkt, dass an seine Fähigkeiten geglaubt wird, ein Kind, das Fehler machen darf, ohne ausgelacht oder ausgeschimpft zu werden, dieses Kind wird sich nicht so schnell entmutigen lassen, es wird spüren: so wie ich bin, so bin ich gut.

 

Ich freue mich darauf, als Pfarrerin und Religionslehrerin in diesem Schuljahr wieder lebendige, fröhliche Kinder, aber auch kritische und zweifelnde Jugendlich auf dem Weg ins Leben zu begleiten, mit ihnen gemeinsam Gottes Segen zu spüren und sie im Unterricht zu ermutigen und zu fördern.