Das Evangelische WortSonntag, 26. 09. 2004, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Pfarrer Wolfgang Olschbaur, Bregenz
"Hauptsache
gesund?" Es
ist in Jerusalem ein Teich, der heißt auf hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen; in denen lagen viele Kranke,
Blinde,
Lahme, Ausgezehrte. Es
war dort ein Mensch, der lag achtunddreißig Jahre krank. Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon so lange gelegen hatte, spricht
er zu ihm: Willst du gesund werden? Der
Kranke antwortete ihm: Herr,
ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das
Wasser sich bewegt; Wenn
ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. Johannes
5,2-3a,5-7 "Hauptsache
gesund bleiben!", hat er mir zum Abschied zugerufen und ist zurück
in sein Krankenbett gesunken. Sein
Gruß stand in krassem Gegensatz zu seiner Verfassung. Wenn
Gesundheit wirklich Hauptsache ist, dann ist er arm dran.
Als Kranker ist er Mensch zweiter Klasse. Gesundheit
ist Voraussetzung für das, was unsere Welt heute fordert:
Konkurrenzfähigkeit und Attraktivität. Wer krank ist, kommt nicht
an, weder auf dem Arbeitsmarkt, noch auf dem Beziehungsmarkt.
Gesundheit gilt als Leistung. Man tut etwas für sie, man erwirbt
sie sich. Wer nicht gesund ist, hat versagt. Krank sein ist eine
Schande, ein peinlicher Mangel, der beseitigt gehört. Gesundheit
ist alles! Früher hatten die Menschen ein gesundes Verhältnis zur
Krankheit. Heute haben sie ein krankes Verhältnis zur Gesundheit. Was
für Aufwand wird getrieben für die Traumfigur! Nur ein gesunder,
makelloser "Body" zählt.
Die Wellness-Branche wächst,
je dünner die Taillen werden. Schönheit ist zum Wahn
geworden. Frauen möchten sie gerne besitzen und Männer möchten
gerne Frauen besitzen, die sie besitzen. Der
Kölner Arzt Manfred Lütz hat bei der ökumenischen Sommerakademie
in Kremsmünster den heutigen Gesundheitskult analysiert und hat ihn
mit der Religion verglichen. Ärzte
sind "Halbgötter". Krankenhäuser werden betreten wie
Kathedralen. Die Chefarzt-Visite ist eine Prozession durch die
Krankenzimmer, der die Schwestern als Ministrantinnen folgen. Was
der Hausarzt verordnet, ist wie eine auferlegte Bußstrafe. Und das
Wort "Sünde" kommt nicht mehr in der Theologie vor,
sondern im Zusammenhang
mit Schlagobers und Übergewicht. Wird die Gesundheit zur Religion, trägt sie fundamentalistische Züge und stellt Ganzheitsansprüche. Da gibt es keinen Humor, da herrscht bitterer Ernst. Gesundheitsreligion ist zutiefst egoistisch. Wie der Esoteriker nur an Sterne denkt und seine persönliche Zukunft, so interessieren den Gesundheitsgläubigen nur seine Laborwerte und seine Lebenserwartung. Im
alten Jerusalem gab es schon ein reges Treiben um Gesundheit. Am
Teich Betesda lagen Kranke rund um eine Quelle. Sie fing irgendwann
an zu sprudeln. Wer zu diesem Zeitpunkt als erster ins Wasser kam,
wurde gesund. Die Solidarität der Kranken wurde in diesem
Gesundheitssystem zu einer mörderischen Hetze um den ersten Platz. Jesus macht den Ort, an dem Gesundheit zum Glücksspiel geworden ist, zu einem Ort des Heiles für solche, die alleine nichts ausrichten. Er hat ein Beispiel gegeben für eine Kultur der Zuwendung, die dem Kranken Würde und Beachtung schenkt und ihn so wertvoll macht. Gott ist zwar die Quelle des Lebens, aber kein Garant für Gesundheit. Sie ist ein hoher Wert, aber nicht der höchste! Gesund ist nicht ein Mensch, der frei ist von Krankheit, sondern einer, der mit seiner Krankheit leben kann und der das Leben liebt. André
Gide hat gesagt, dass ihm Menschen, die nie krank gewesen sind,
irgendwie ungebildet vorkommen, wie solche, "die nie gereist
sind".
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