Das Evangelische WortSonntag, 17. 10. 2004, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von
Pfarrer Andreas Fasching (Wien) Vom Duft des Hasses und der Liebe Der
Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an Linda Buck und
Richard Axel. Die beiden US-amerikanischen Wissenschafter erhalten
die Auszeichnung für ihre Entschlüsselung des Geruchssinns. Sie
haben unter anderem herausgefunden, dass Gerüche Gefühle und
Triebe beeinflussen, weil die Geruchssignale auf ihrem Transport ins
Gehirn dessen ältesten Teil durchlaufen, das Zentrum des
Unbewussten. Eine Tageszeitung brachte diese Meldung unter der
Headline „Der Duft des Hasses und der Liebe“ [Der Standard,
5.10.04]. Der
Mensch kann bis zu 10.000 Gerüche unterscheiden. Wie aber riecht
Liebe und wie Hass? Bei der Liebe tu ich mir leicht. Ich erinnere
mich an Gerüche von Orten, die mir seit Kindertagen Geborgenheit
vermittelt haben: an die Mischung von gewachstem Linoleum und
schwerem Holz im Zimmer meiner Großmutter. An den Duft nach
getrocknetem Gras im Heustadel, meinem Lieblingsspielplatz. An den
Weihrauch in der Dorfkirche. An die Würze jenes Sommers, in dem ich
meine Frau kennen gelernt habe. Und an den Duft von ihr, die die
Liebe in mein Herz gesenkt hat. Der weckt die Sehnsucht nach einer
letzten Geborgenheit, die kein Mensch zu schenken imstande ist. Aber
wie riecht Hass? In der Familie meiner Eltern wurden Streitigkeiten
oft sanktioniert und Konflikte kaum bearbeitet. Auch in unserer
Gesellschaft gilt es als hohes Ideal, die Kontrolle zu bewahren.
Zumindest in der Öffentlichkeit gibt man sich zuvorkommend bis
reserviert und zeigt jedenfalls keine starken Gefühle. Hass und Wut
wirken auf viele bedrohlich, weil dadurch die Selbstkontrolle in
Gefahr ist. Vielleicht ist der Hass ja so groß, dass er nicht mehr
einzudämmen ist. Deswegen entsteht Angst vor den eigenen Gefühlen.
Und wovor ich mich ängstige, das suche ich zu vermeiden.
Was
aber soll ich, wenn ich die Nase voll habe und am liebsten alles hin
schmeißen würde? Was soll ich, wenn ich jemandes Nähe nicht mehr
ertrage, sie oder ihn einfach nicht riechen kann? Ich
bin sicher nicht friedfertiger als andere, aber meine Aggressionen
äußern sich oft
indirekt und versteckt. Statt meinen Ärger zu äußern, schlucke
ich ihn runter und er schlägt sich auf meinen Magen oder er steigt
mir zu Kopf. Ich leide vorwurfsvoll an Kopf- oder Magenschmerzen
oder lenke von mir ab und schiebe die Schuld auf andere. Leben unter
diesen Vorzeichen sieht oberflächlich betrachtet recht friedlich
aus. Aber unter dieser freundlichen Hülle herrscht messerscharfer
Kleinkrieg. Langsam
und mühevoll lerne ich einen neuen Umgang mit Hassgefühlen und
Wut. Es beginnt damit, zu allen
Gefühlen zu stehen, den impertinenten Gestank an sich ebenso wahr-
und anzunehmen wie den Wohlgeruch. Wer in seinen subtilen,
versteckten Aggressionen nicht nur Destruktives, sondern auch
Kraftvolles erkennt, wird beziehungsfähiger. Denn durch Ärger und
Wut können Kontakte wieder belebt, Wege aus verfahrenen Situationen
gefunden, Ohnmacht und Missverständnisse überwunden werden. Mein
Ärger und Hass jemandem gegenüber, signalisieren immerhin ein
gewisses Interesse. Wo aber jegliches Interesse fehlt, da wende ich
mich nur noch gelangweilt ab. Bei
den Schritten zu einem neuen Umgang mit diesen Gefühlen ist mir die
Bibel eine gute Lehrmeisterin. Im unzensierten Ausdrücken
menschlicher Gefühle wie es in den Psalmen begegnet und in der
Konfliktfähigkeit des Jesus aus Nazareth spricht sie eine lebensfördernde
Sprache. Damit mein Dasein das wird, was Paulus nennt: „ein Geruch
des Lebens zum Leben“ (2. Kor 2, 16).
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