Das Evangelische Wort

Sonntag, 31. 10. 2004,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

von Oberkirchenrätin Dr. Hannelore Reiner (Wien)

 

 Wir schreiben das Jahr 1517.  Am Vorabend des Allerheiligenfestes steht ein Augustinermönch vor dem Eingangstor der  Wittenberger Schlosskirche und nagelt ein Plakat daran fest. Jeder, der des Lesens kundig ist, kann es sehen: 95, meist kurze Sätze, die als Diskussionsgrundlage dienen sollen – so hat es sich der Augustinermönch Martin Luther zumindest zunächst gedacht. Aber der Inhalt hat sich ganz rasch als brandheißer Stoff erwiesen.

 

Der berühmte Thesenanschlag Martin Luthers lässt sich heute historisch nicht mehr nachweisen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass diese Thesen nur geschrieben und verschickt worden sind, um eine Diskussion unter den Gelehrten auszulösen.

Was war denn der eigentliche Auslöser für diesen gewagten Schritt an die Öffentlichkeit?

Es war schlicht das Geld.

Geld konnte – so die mittelalterliche Kirche – sehr gut anstelle anderer Bußleistungen herhalten. Damit aber war Tür und Tor geöffnet, sich mit Geld ein Stück Himmel zu erkaufen.

 

These 27 und 28

„Man predigt Menschenlehre, wenn man sagt: Sobald das Geld im Kasten klingt, entflieht die Seele (dem Fegefeuer).

Das ist gewiss, dass Gewinn und Habgier zunehmen können, wenn das Geld im Kasten klingt; ob die Kirche mit ihrer Fürbitte Erfolg hat, steht dagegen bei Gott“.

 

Geld regiert die Welt. Das ist  keine Erfindung der kapitalistischen Welt im 3. Jahrtausend, das wussten auch Papst Leo X. und das Bankhaus der Fugger am Beginn des 16. Jahrhunderts. Martin Luther war kein idealistischer Träumer, der sich etwa eine Welt ohne Geld vorgestellt hätte. Auch wenn er selbst  - so wird es ihm nachgesagt – ein lockeres Verhältnis zum Ersparten gehabt und lieber Geld und Gut verschenkt hat, so hat er doch sehr genau gewusst, dass ein jeder, auch christliche Kirchen  und natürlich auch der Staat Geld brauchen, um ihrem Auftrag gerecht werden zu können. Aber der Reformator hat eine gefährliche Nähe des Geldes zur Habgier gesehen, ganz im Sinne der Bergpredigt Jesu, wo es heißt:

 

Matthäus 6, 19 – 21:

„Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“

 

 Es mag ein zufälliges Zusammentreffen sein, dass ausgerechnet am 31.Oktober evangelische Christen einerseits den Gedenktag der Reformation begehen, aber zugleich dieser Tag weltweit im Zeichen des Geldes steht, als so genannter Weltspartag.

Jahr für Jahr fordert mich dieses eigenartige Zusammentreffen zum Nachdenken über meinen ganz persönlichen Umgang mit dem Geld heraus. Habe ich es noch in der Hand und versuche damit verantwortlich umzugehen oder hat mich die Habgier schon längst in ihren Bann gezogen? Wie gelingt den Kirchen der schwierige Umgang mit dem Geld? Diktiert nicht längst der Sparstift alle Entscheidungen?

Dass die internationalen Geldgeschäfte für die meisten Menschen nicht mehr zu  durchschauen sind, macht die Sache noch bedenklicher.

 

Die Thesen Martin Luthers, in denen er die Verquickung von menschlicher Hoffnung auf Heil und Erlösung mit dem Geld anprangert, haben offensichtlich bis heute ihre Aktualität nicht verloren. Geld an sich ist nicht schlecht, aber es ist ein vergängliches Gut. Vielleicht braucht es heutzutage eine weltweite Reformation des Umgangs mit dem Geld, die freilich immer bei einem jeden, bei einer jeden ganz persönlich beginnt.