Das Evangelische Wort

Sonntag, 28. 11. 2004,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

Landessuperintendent Wolfram Neumann

 

Wir sagen euch an den lieben Advent, seht die erste Kerze brennt, so wird jetzt wieder in vielen Schulklassen und Kirchen gesungen. Kinder und Kunden werden auf Weihnachten eingestimmt. Was mich verstimmt. Denn in vielen Häusern brennt ab heute nicht nur die erste Kerze sondern der Hut und bringt ganz unweihnachtliche Gerüche in die backduftverwöhnten Haushalte.

 

Zum Beispiel den Geruch der Ratlosigkeit: was schenken wir zum Fest den Kindern, den Eltern, uns gegenseitig, der Tante Amalia oder dem Vetter Ernst - eigentlich brauchen sie ja nichts mehr - aber was hätte vielleicht doch noch Platz bei ihnen, auf der Kommode oder unterm Bett? Welche Nachbarn und Kollegen müssen mit irgendeiner Kleinigkeit bedacht werden, nein Kerze geht nicht, die haben wir doch letztes Jahr von ihnen bekommen, und die war scheußlich, eine Orchidee? Einen Keramikweihnachtsmann? Briefpapier?  Einen Gutschein? Aber für was? Für Bücher? Für ein Abendessen? Für Taschentücher? Wenn Schenken Freude bereiten soll, dann sicher nicht den Schenkenden, denen bereitet es nur rauchende Köpfe.  Und was essen wir am Fest, wieder Kartoffelsalat mit Würsteln, wieder Karpfen, wieder Schnitzel, wieder Pute?  

 

Kann man solches hin und her Raten noch als die alljährliche Weihnachtserhitzung bezeichnen, sozusagen als Saisontheater so doch nicht jene Fragen, die gerade diese Advents- und Weihnachtszeit viele Familien heiß laufen lassen:  Höhere Schülerzahlen in den Klassen, daher weniger persönliche Förderung der Kinder, höhere Rezeptgebühren, daher mehr Zurückhaltung bei Arztbesuchen, höhere Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten, daher Hinauszögerungen so lang es eben geht, gekürzte Pensionen, daher Gefährdung der persönlichen Altersplanung, gekürzte bis eingestellte Zuschüsse bei notwendigen Sehhilfen, daher Einschränkung der Lebensqualität. Erheblich und wirklich einschneidend sind für viele Familien oder Alleinstehende die staatlich verordneten Kürzungen. Hinzu kommen noch die Einschränkungen bei vielen öffentlichen Einrichtungen, wie etwa bei der Post, die etlichen Menschen ihren Alltag noch etwas beschwerlicher machen.

 

Ich kann gut verstehen, wenn gar nicht wenige in diesen Zeiten vermuten, dass sich der weihnachtliche Duft mit dem aufsteigenden Verwesungsgeruch des Sozialstaates  vermischt, und ihnen Hoffnung und Freude verhagelt. Sicher ist es übertrieben, den Sozialstaat schon den Bach hinuntersausen zu sehen. Aber dass er eingefroren wird, kann wohl niemand leugnen und damit auch nicht die  Abkühlung des sozialen Klimas als logische Folge.

 

Mich wundert es nicht, wenn vielen Menschen heute, Advent und Weihnachten mit der Überbetonung von Kitsch und Kommerz zum Hals heraushängen und sie deshalb innerlich überkochen. Mich wundert es aber, dass so wenige für diese Wochen das in Anspruch nehmen, was gewiss unbezahlbar ist und sie dennoch nichts kostet: Zeit, ja  Zeit, Zeit für liebe Menschen, die Familie oder Freunde,  Zeit um nach zu denken, was ist wirklich wichtig ist zwischen mir und den Menschen, die zu meinem Lebenskreis gehören, Zeit aber auch herauszufinden, was ist denn wirklich grundlegend für mich selbst, was hilft mir weiter – trotz aller Einschränkungen.

 

Von Jesus wird überliefert, dass er sich - oft sogar im größten Trubel - davon stahl und einen einsamen Ort aufsuchte. Dort hat er nachgedacht über sich, sein Leben, seine nächsten Lebensschritte. Er hat gebetet, wird gesagt. Nun, Gebet ist doch nichts anderes, denke ich, als über sich und die eigene Situation in aller Ehrlichkeit, also vor Gott, nachzudenken. Wer so mit sich selbst in die Tiefe geht, wird sich von den vielen Oberflächlichkeiten und Beschränkungen nicht verheizen lassen.