Das Evangelische WortSonntag, 12. 12. 2004, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
Superintendent Paul Weiland (St. Pölten, Niederösterreich)
Nicht
der schiefe Turm, sondern das österreichische Schul- und
Bildungssystem kommt den meisten von uns heute zuerst in den Sinn,
wenn wir das Wort Pisa hören. So wie die Diskussion in Österreich
jetzt geführt wird, ist dies - denke ich – nicht nur negativ zu
sehen, weil die Frage der Bildung wieder bedacht wird, hoffentlich
auch neue Chancen erkannt und dann umgesetzt werden. Über Bildung
nachzudenken und sie zu verbessern, das ist eine Grundaufgabe jeder
Gesellschaft. Mir
geht es dabei nicht um ein vordergründiges Bildungsranking, also um
die Genugtuung, in diesen Listen ganz vorne zu stehen oder jetzt
eben in Österreich um die Enttäuschung, doch nicht so gut
abgeschnitten zu haben. Mir geht es in einem evangelischen Wort zum
Thema „Bildung“ um die Menschen, um das Zusammenleben, um die
Chance, Leben bewältigen zu können. Darum
geht es ja eigentlich in der Bildung. Lehren und lernen gehören
untrennbar zum Mensch-Sein. Leben ohne Lernen ist nicht denkbar.
Dieses Lernen für das Leben, das ist nicht nur auf Zahlen und Daten
beschränkt, sondern umfasst die ganze Dimension des Menschseins.
Wissen muss eine Chance bekommen zu wachsen, aber auch die
Verantwortung muss sich entfalten können, die Menschlichkeit muss
reifen, auch der Glaube muss gefördert werden, um relevant für
jeden einzelnen selbst und für die Gesellschaft zu werden. Bildung
für das Leben, das heißt, befähigen mit den Herausforderungen des
Lebens fertig zu werden. Da geht es um Information, um sachgerecht
entscheiden zu können. Da geht es um Strategien, um mit Konflikten
fertig werden zu können. Da geht es um eine Kultur der Sprache, um
nicht mit Worten das Miteinander zu vergiften. Da geht es um die Würde
des Menschen, um solidarisch bleiben zu können. Bildung für das
Leben, das heißt auch, mit dem Sterben fertig zu werden. Die
Welt, sein Leben zu verstehen, seinen Beruf und seine Arbeit immer
besser, immer kompetenter ausüben zu können, in den komplexen
gesellschaftlichen Beziehungen und Verflechtungen verantwortlich
mitgestalten zu können, dazu bedarf es der Bildung und der
Weisheit. Offensichtlich einer Weisheit, die mit dem Zuhören
beginnt. Und im Zuhören, was immer auch ein Innehalten bedeutet, wächst.
In dem mehr als 2000 Jahre alten Buch der Sprüche in der Bibel habe ich
einen für mich interessanten Text zur Bildung gefunden
Es heißt dort: „Wer weise ist, der höre zu und wachse an
Weisheit, und wer verständig ist, der lasse sich raten, dass er
verstehe Sprüche und Gleichnisse, die Worte der Weisen und ihre Rätsel.
Die Gottesfurcht ist der Anfang der Erkenntnis.“ Um
eine Einordnung und Zuordnung geht es, unseres Lebens, aber auch
unserer Begabungen und Fähigkeiten, um eine Einordnung und
Zuordnung unserer Weisheit und unseres Wissens. Darum geht es, nicht
alles zu machen, was machbar ist, sondern das zu tun, was
verantwortet werden kann. „Wer weise ist, der höre zu, und er
lasse sich raten.“ Der
Reformator Martin Luther hat diese Erfahrung in einer seiner
Tischreden so formuliert: „Weisheit, Verstand und die
Schreibfeder: Die sollen die Welt regieren. Würde Gott zürnen und
alle Gelehrten aus der Welt wegnehmen, so würden aus den Leuten
Bestien und wilde Tiere werden, und da gäbe es keinen Verstand noch
Witz und kein Recht.“ Was
ist der Sinn von dem, was ich tue und mache, lerne oder lehre?
Bildungsarbeit in seiner letzten Konsequenz heißt immer, die Frage
nach dem Sinn zu stellen und dabei auf dem Weg zu einer Antwort zu
sein, den Geheimnissen des Lebens näher zu kommen. In
diesem Sinn stellt das Bibelwort aus dem Buch der Sprüche auch
fest: Der Anfang der Erkenntnis ist die Gottesfurcht. Diese
Erkenntnis beginnt eben nicht mit dem Essen vom Baum der Erkenntnis,
um mit diesem Bild der Bibel aus den Anfängen der Menschheit die
Selbstüberschätzung und Überheblichkeit zu bezeichnen, sondern
mit der Fähigkeit, sich selbst und die Welt richtig einordnen zu können.
Diese Bildung wünsche ich mir, weil sie anspruchsvoll werden lässt
im Umgang mit der Umwelt, mit den Mitmenschen und mit sich selbst.
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