Das Evangelische Wort

Sonntag, 09. 01. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Barbara Knittel

 

Ein merkwürdiger Jahresanfang ist das diesmal! So viele unfassbare Sterbegeschichten von Kindern und Alten, von Männern und Frauen und ein Ende der Schreckensmeldungen ist noch gar nicht in Sicht. Wie soll da ein Anfang geschehen? Und diesmal sind nicht Menschen am Werk, die anderen das Leben nehmen sondern es ist die Erde selbst, die ihre milliardenjährige Geschichte der Veränderung unerbittlich weiter schreibt. Ein weltweiter Schock macht sich breit und noch ist es zu früh, nach Bedeutungen dieses Geschehens zu suchen. Innerlich erlebe ich das als Zerreißprobe. Da sind zum einen die betroffenen Menschen, die Toten, die Verletzen, die Angehörigen, jeweils mit ihren ganz persönlichen Geschichten. Da ist zum anderen dieses Seebeben als riesiges kosmisches Ereignis, das uns ja daran erinnert: dieser Planet, auf dem wir leben, ist ständig in Bewegung. Unvorstellbare Energien wirken da zusammen. Die Phasen relativer Ruhe ermöglichen es uns, auf diesem Planeten heimisch zu werden, aber ohne lange Vorwarnung kann uns das genommen werden und ich persönlich vergesse das immer wieder.

 

Genau in diese Spannung zwischen persönlicher Anteilnahme an den Einzelschicksalen und einer großen Ehrfurcht gegenüber solchen globalen Ereignissen taucht für mich auch wieder die Urfrage auf - gibt es in all dem Chaos eine innewohnende Ordnung, die den Kosmos umspannt und damit auch die Menschen einschließt? Anders gefragt - gibt es in all dem eine göttliche Kraft, die Werden und Vergehen, Anfang und Ende, Leben und Tod umfasst? Es geht mir jetzt nicht darum, die Antwort darauf zu finden, aber nach Ansätzen zu suchen, die helfen könnten mit solchen Erschütterungen weiter zu leben.

In den vergangenen Tagen habe ein bisschen genauer in dem letzten Buch der Bibel gelesen, in der so genannten Apokalypse des Johannes, wo es auch um solche globalen Ereignisse geht, in denen eine große Zahl von Menschen umkommt. Sehr plakativ ist dieses Buch ja als Beschreibung eines Endgerichts Gottes genommen worden. Erst ein schreckliches Ende damit dann ein guter Anfang kommen kann. Auch wenn sich in diesem Buch schwierige, theologische Bilder finden, so bekommt es eine eigene Färbung, wenn man es von den bedrängten und leidenden Menschen her liest. Der Verfasser war wahrscheinlich selbst ein deportierter Gefangener. Apokalyptik heißt ja – aufdecken, enthüllen, etwas wahrnehmen, auch wenn es Angst macht. Sich zu öffnen ist dabei so wichtig. In den Imaginationen des Verfassers geht es immer wieder um das Öffnen von Türen oder um das Aufschlagen von Büchern, auch um offene Abgründe. Die Bedrohung vor allem für leidende Menschen bekommt einen Namen und zugleich eröffnen sich dem Johannes visionäre Gotteserfahrungen, die in seiner bedrängenden Gegenwart zu Sternen am Himmel werden.

 

Dieses 'offen sein' spricht mich an, gerade jetzt, in dieser gegenwärtigen Katastrophe. Auch wenn die Hilflosigkeit jetzt groß ist, und wenn Geldspenden nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind, auch wenn die Mitleidsmüdigkeit gerade mit der Bilderflut in den Medien stärker wird, so können Gefühle, Gedanken, auch Erkenntnisse auftauchen. Ganz persönliche aber auch allgemein verbindende Erkenntnisse. Im Bild gesprochen können sich gerade mitten in Erschütterungen Türen auftun für überraschende Erfahrungen. Damals, in dem alten Buch der Apokalypse war es noch selbstverständlicher genau das als Gotteserfahrung zu erleben, wo Gott mitten in der Bedrohung sagt:

 

"Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten" Offb. 3/20