Das Evangelische WortSonntag, 16. 01. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von
Pfarrer Olivier Dantine (Großpetersdorf, Bgld.) Skiunfälle
rentieren sich. Mit dieser Nachricht aus dem Radio bin ich an einem
Sonntag vor Weihnachten geweckt worden. Das Institut für höhere
Studien hat ausgerechnet, dass durch Skiunfälle das
Wirtschaftswachstum in Österreich gefördert wird. Die Wertschöpfung
durch die medizinische Behandlung sei nämlich beträchtlich. Natürlich
hätten die vermehrten Krankenstandstage österreichischer
Arbeitnehmer einen negativen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum,
wodurch der positive Effekt wieder aufgehoben wäre. Aber es
verletzen sich auch Ausländer beim Skifahren. Und deren Krankenstände
beeinflussen nur das Wirtschaftswachstum ihrer Heimatländer. Wie
soll ich mich am Besten verhalten, um den Wirtschaftsstandort Österreich
zu sichern? Matthäus
6,24: „Niemand
kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den
andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern
verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Das wäre
wohl eine mögliche Antwort Jesu auf diese Kosten-Nutzen-Rechnung
beim Schifahren gewesen. Von den Machern der Studie ist es sicher
nicht beabsichtigt gewesen, aber sie ist schon entlarvend. Ein
Symbol für eine Art der Wirtschaft, die den menschlichen Bedürfnissen
entgegengesetzt ist. Was die Menschen schmerzt, scheint gut für die
Wirtschaft. Ich habe den Eindruck, dass die Sorge von Managern
internationaler Konzerne zuallererst dem Wert ihrer Aktie gilt, mit
der die Anleger Geld verdienen wollen. Dass diesem Ziel nicht selten
viele Arbeitsplätze geopfert werden, gehört zum Alltag der
Wirtschaft. Dass
die Aktienkurse sehr viel bestimmen, hat auch mitbekommen, wer die
Nachrichten zur Flutkatastrophe in Südostasien mitverfolgt hat. Das
Ausmaß der menschlichen Tragödie war noch lange nicht klar, da war
es offenbar wichtig, auch davon zu berichten, welche Auswirkungen
die Flutwelle auf die weltweiten Aktienkurse hat. Sie hatte
praktisch keine, die Katastrophengebiete liegen außerhalb des
Interesses der Anleger, hieß es da. Die globale wirtschaftliche
Entwicklung scheint also an diesen Ländern vorbei zu gehen. Aber
Hauptsache, wir beschuldigen diese Länder, dass sie nicht wie Japan
oder die USA ein Tsunami-Frühwarnsystem aufgebaut haben. Ihr
könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
Gott dienen, das würde heißen, dem menschlichen Leben zu dienen.
Denn nach biblischer Überlieferung ist jeder Mensch Gottes
Ebenbild. Dass
angesichts der Flutkatastrophe über einen Schuldenerlass an den
betroffenen Ländern nachgedacht wird, ist ein erster Schritt in
diese Richtung. Die weltweite Solidarität, die sich auch in Österreich
durch Spendenbereitschaft und durch enormen Einsatz von
Hilfsorganisationen gezeigt hat, ist für mich auch ein Zeichen,
dass das Denken vieler Menschen über ökonomische Logik hinausgeht. Ich
hoffe aber, dass die Solidarität noch viel weiter gehen wird. So
unvorstellbar die Flutkatastrophe auch war, sie ist bei weitem nicht
die einzige. Denn fast unbemerkt findet jedes Jahr weltweit eine
noch viel größere Katastrophe statt. Nach Schätzungen der UNO
verhungern jedes Jahr etwa 6 Millionen Kinder unter 5 Jahren. Davon
habe ich schon lange nichts mehr gehört. Schuldenerlass,
faire Regeln für den Welthandel, weltweite Besteuerung der Erträge
von Geldtransaktionen und vieles andere mehr sind die Vorschläge
vieler Organisationen, die sich mit den Folgen der Globalisierung
beschäftigen. Anfangen kann aber auch ich als Konsument. Es gibt
fair gehandelte Produkte zu kaufen. Ich verändere durch den Kauf
eines halben Kilo Kaffee noch nicht die Welt. Und doch setze ich
damit ein Zeichen, ein Zeichen, das besagt: Eine andere Welt ist möglich.
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