Das Evangelische WortSonntag, 13. 02. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von
Pfarrer Frank Lissy-Honegger, Rust/Burgenland Vor einigen Tagen wurde mein Schwiegervater begraben. Zum Zeitpunkt seines Todes stand Rudolf Lissy im 83. Lebensjahr. Seit 10 Jahren litt er an Alzheimer. Die Alzheimer Krankheit dauert oft viele Jahre. Dabei verschlechtert sich der Gesundheitszustand stetig. Es ist eine hirnorganische Krankheit, Nervenzellen und Nervenzellenkontakte hören auf zu arbeiten. Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, Verfall des Denk- und Urteilsvermögens machen die Bewältigung eines normalen Alltagslebens immer schwieriger und schließlich unmöglich.
Mein
Schwiegervater hat sich Schritt für Schritt aus diesem Leben
verabschiedet. Zuerst fiel mir einfach nur auf, dass er dieselben Sätze
oder Zitate oft wiederholte, ein bisschen klischeehaft. Später
hielt er sich immer öfter in Gedankenräumen und –welten auf, die
ich nicht mehr betreten konnte. Ich hatte das Gefühl: Er ist ganz
woanders, an einem Ort, zu dem ich nicht hingelangen kann. Das war auch die Zeit, in der er wie zum Aufbruch bereit schien. Er ging hinaus in die Garderobe, zog sich ausgehbereit an; Schuhe, Sakko, Mantel, Schal und Kappe; wusste dann aber nicht mehr, wohin und wartete, wartete – auf wen? Auf welchen Aufbruch? Dann
vergaß er auch aufs Warten, vergaß viel von seinem reichen Leben,
von seiner Tätigkeit als Pfarrer in Perchtoldsdorf, dann hat er
mich vergessen, seine Töchter und dann auch noch seine Frau. Ihre
Leistung schätze ich sehr hoch. Sie war an seiner Seite, pflegte
ihn zu Hause solange sie konnte, erlebte, wie er vom Partner zum
Pflegefall wurde, der keine Entscheidungen mehr selbst treffen
konnte, kein Gesprächspartner mehr war. Sie sorgte für Stabilität
und Verlässlichkeit seiner Umwelt, und das gehört für
Alzheimerkranke zum Allerwichtigsten. Wenn
ich ihn besucht habe im Seniorenheim Mödling, dann habe ich meinen
Sessel neben seinen Rollstuhl gestellt, seine Hand in meine genommen
und habe ihm aus der Bibel erzählt. Ich hab ihm erzählt vom Schatz
im Acker, für den der, der ihn entdeckt hat, bereit ist, alles
einzusetzen, vom verlorenen Sohn, der aus der Fremde heimkommt und
vom Vater mit Freude aufgenommen wird. Im Dezember habe ich ihm noch
die Weihnachtsgeschichte erzählt und bei meinem letzten Besuch von
Simeon und Hanna. Es
lebte in Jerusalem ein Mann namens Simeon, der war fromm und wartete
auf die Rettung Israels. Er war von Gottes Geist erfüllt und
gewiss, er werde nicht sterben, bevor er den Christus gesehen hat.
Eines Tages im Tempel, da traf er auf das Jesuskind, das von den
Eltern zur Beschneidung gebracht wurde. Da nahm Simeon das Kind auf
die Arme, pries Gott und sagte: Herr, nun lässt du deinen Diener in
Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen. Da
kam auch Hanna hinzu, eine Prophetin, die war hochbetagt und hatte
gelebt sieben Jahre mit ihrem Mann und war nun eine Witwe bei
vierundachtzig Jahren, die pries Gott und redete von dem Kind zu
allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten. Erstaunlicherweise:
bei den biblischen Geschichten hatte ich stets den Eindruck, er
reagiert darauf. Er wird ruhig, er hört zu und was ich selten
erlebt habe in seinen letzten Jahren, er tut etwas von sich selbst
her. Er sagt: Ja, richtig, Ja, natürlich. Er stimmt zu, er nickt. Und
das nicht deswegen, weil ich es will und bewirke, sondern weil ihn
diese Geschichten so oft beschäftigt und bewegt haben, weil sie
irgendwie immer noch in ihm lebten, weil etwas in ihm zu klingen
begann. Es
sind Geschichten von der Würde der Menschen und des Lebens, sie
sprechen vom großen Ja zum Leben, das auch in Krankheit und Verstümmelung
gilt, sie erzählen von einem Gott, der hinein geht in alles Leiden
und hinaus in die große Gemeinschaft.
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