Das Evangelische Wort

Sonntag, 27. 02. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

von Mag. Gisela Ebmer

 

 

„Siehe, der Herr stand auf einer Mauer mit einem Lot in der Hand. Und der Herr sprach zu mir: “Was siehst du, Amos?“ Ich antwortete: „Ein Lot.“ Da sprach der Herr: „Siehe, ich lege das Lot an inmitten meines Volkes Israel; ich will ihm nicht länger vergeben.“ (Amos 7, 7 - 8)

Manchmal hat man so ein komisches Gefühl. Irgendwas ist nicht in Ordnung. Vielleicht ist es ein seltsamer Traum, der mich bewegt, vielleicht sind's einfach nur die Nachrichten im Fernsehen, die mich irgendwie beunruhigen.

So ungefähr muss es dem Amos damals auch gegangen sein. Ein Traum verfolgt ihn. Ihn, der kein Prophet, kein Seher ist. Sondern ein ganz gewöhnlicher Vieh- und Maulbeerfeigenzüchter. Aber der Amos, der nimmt seinen Traum ernst. Er denkt sich, naja, ich bin eh viel unterwegs ich kann mich ja mal vorsichtig umschauen, ob da wirklich so manches nicht im Lot ist.

 

„Höret dies, die ihr die Armen unterdrückt und die Elenden im Lande zugrunde richtet und sprecht: Wann will denn der Neumond ein Ende haben, dass wir Getreide verkaufen, und der Sabbat, dass wir Korn feilhalten können und das Maß verringern und den Preis steigern und die Ware fälschen, damit wir die Armen um Geld und die Geringen um ein Paar Schuhe in unsere Gewalt bringen und Spreu für Korn verkaufen?“ (Amos 8, 4 - 5)

 

Wenn ich heute als Prophetin und als Christin das Lot anlegen würde, dann würde ich einfach Fragen stellen: Warum zahlen wir bis zu 50% Steuern auf unseren Lohn, während es große Konzerne gibt, die sich in Österreich angesiedelt haben und kaum Steuern zahlen?

Die OECD hat 1999 festgestellt, dass in Österreich  die Steuern aus Vermögen nur zu 1,3% des Staatshaushalts beitragen, in Großbritannien sind es wenigstens über 10%. Das wären in Österreich fast 10 Milliarden Euro Mehreinnahmen! Warum gibt es dieses Geld nicht zur Förderung von Schulen und Kindergärten, für den öffentlichen Verkehr, die Post, die Kranken- und Altenpflege? Warum heißt es immer, wir müssen sparen? Warum wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer? Warum verdienen Frauen in Österreich heute weniger als vor vier Jahren? Warum bezahlen die Entwicklungsländer nach einem Bericht der Weltbank doppelt so viel Zinsen an die Industrieländer wie sie an Entwicklungshilfe bekommen?

 

„Sie hassen den, der für das Recht eintritt, und verabscheuen den, der die Wahrheit redet.“ (Amos 5, 10)

 

Warum erzählt uns kaum jemand, dass in der neuen EU-Verfassung, die im Mai von Österreich unterschrieben wird, genau dieses neoliberale Wirtschaftssystem verpflichtend wird, dass wir uns mit dieser Verfassung zur militärischen Aufrüstung verpflichten und zum Aufbau eines europäischen Rüstungsamts und zum Ausbau der Atomenergie?

 

„Aber es ströme wie Wasser das Recht, und die Gerechtigkeit wie ein unversieglicher Bach!“ (Amos 5,24)

 

Als Christin und Seherin heute, als eine, die mit offenen Augen durch die Welt geht, sehe ich auch Hoffnung. Es gibt Unternehmer und Unternehmerinnen, die selber gegen die neoliberale Globalisierung sind und erkennen, dass diese uns allen schadet. Es gibt Wirtschaftswissenschafter, ja einen Nobelpreisträger, der eine Steuer erfunden hat für alle Geldspekulationen, die 97% aller Handelsgeschäfte auf der Welt ausmachen. Nur 0,25% Steuern auf jede Devisenaktivität würde sehr viel Geld zur Armutsbekämpfung bringen. Ebenso die Schließung von Steueroasen und politische Vereinbarungen darüber, wie viel Steuern internationale Konzerne bezahlen müssen, egal in welchem Land sie sich niederlassen.

Wir haben Propheten in unserem Land mit guten Ideen. Wir brauchen sie nur zu hören.