Das Evangelische WortSonntag, 06. 03. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von
Dr. Gerold Lehner, Leiter des Evangelischen Predigerseminars Im
Sommer kennt sie jeder, diese beiden Störenfriede. Der eine ist die
Gelse, die gewöhnliche Stechfliege. Sie ist lästig und man hört
sie gut, wie sie summt. Aber da gibt es noch so ein Tier, und das
ist eine Kategorie schmerzvoller. Dieses Flugtier ist die Bremse,
oder Viehfliege (Tabanidae) genannt. Man hört sie nicht, aber dafür
spürt man sie umso mehr. Denn ihr Stich ist schmerzhafter, er
bremselt, wie man sagt. Ein
solches Vieh ist wahrhaftig kein Sympathieträger. Und doch ist
dieses Vieh zu höchsten literarischen und philosophischen Ehren
gekommen. Denn als dem Philosophen Sokrates in Athen der Prozess
gemacht wurde, da hat er sich mit ebendiesem Vieh verglichen. Der
athenische Staat sei wie ein großes, edles, aber sehr behäbiges
Pferd. Und als solches oft träge und wohl auch sehr
selbstzufrieden. Da sei es seine, ihm von einem Gotte zugewiesene
Aufgabe gewesen, als Bremse, diesem Pferd lästig zu fallen, es
immer wieder dazu zu bringen sich in Bewegung zu setzen (Apologia
30e). Der vielleicht berühmteste Philosoph der Welt - lästig wie
eine Bremse. Und in dieser Selbstcharakterisierung steckt sehr viel
Weisheit. Denn im Endeffekt war er dann auch etwa so beliebt wie
eine Bremse. Und man ist mit ihm umgegangen wie mit einer Bremse. Ungefähr
um die selbe Zeit, hat in Israel ein im Übrigen unbekannter
Verfasser das Buch Kohelet, oder Prediger geschrieben, das sich,
fast möchte ich sagen recht verborgen, im Alten Testament findet.
Dort findet sich am Ende eine Sentenz (12,11), der spürt man die
Verwandtschaft zur Aussage des Sokrates ab: Die Worte der Weisen
sind wie Ochsenstacheln und ihre Sprüche wie eingeschlagene Nägel. Wir
befinden uns in der Welt der Landwirtschaft. Da wird mit den Ochsen
gepflügt. Und wie bei jeder Arbeit gibt es auch hier Trägheit und
den Drang, stehen zu bleiben und gemütlich zu weiden. Dann kommen
die Ochsenstacheln zum Einsatz (eine Art
Peitsche) und die sorgen dafür, dass sich die Ochsen wieder
in Bewegung setzen. Mir
geht es jetzt nicht um die Ochsen und darum ob diese Art von
Behandlung nett ist. Mich erstaunt, dass die Worte der Weisen damit
verglichen werden. Ihre Worte tun offenbar weh. Sie sind auf jeden
Fall lästig, sie irritieren. Sie verhindern, dass man sich geruhsam
einrichtet im hier und jetzt. Sokrates
ist den Leuten gehörig auf die Nerven gegangen. Denn er hat sie
immer wieder gefragt, warum sie sich denn um alles Mögliche kümmern
würden, aber um ihre Seelen nicht? Solche Fragen kann man im
Tagesgeschäft nicht brauchen. Das ist lähmend, das bremst, das
nimmt den Schwung und bringt ins Grübeln, und das kann man sich nun
wirklich nicht leisten. Ein
ganzes Land erschrickt, wenn es in einer Schulstudie um einige Ränge
absackt; jetzt kommt es zu aufgeregten Gesprächen, Maßnahmenkataloge
werden überlegt, wie man sich denn verbessern könne; ein Gipfel
folgt dem anderen… Aber kaum jemand hat die wenigen gehört, die
auf grundlegende Fragen hingewiesen haben. Wenn alle von Bildung
reden, auf welches Bild hin wir denn eigentlich ausbilden? Wenn
Bildung zur Diskussion steht, dann steht auch die Frage des
Menschenbildes zur Diskussion. Was
wir brauchen sind Menschen die gut ausgebildet sind, mit denen die
Wirtschaft etwas anfangen kann, damit die Wirtschaft weiter wachsen
kann, damit wir fortschreiten können…. Wohin wir wachsen, wohin
wir fortschreiten, welches Ziel wir anstreben, das fällt dann oft
unter den Tisch. Und wer darauf hinweist, wer auf diesen Fragen
besteht, der gilt sehr schnell als lästig, der wird als überholt
gekennzeichnet, der befinde sich nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Ich
würde für den Luxus plädieren, nicht gleich zuzuschlagen, zu
verscheuchen, wenn lästige Fragen auftauchen, hartnäckige Frager.
Wissen sie, wie der Ochsenstachel in der lateinischen Bibelübersetzung
wiedergegeben wird? Da heißt es: die Worte des Weisen sind wie ein
Stimulus. Ein Ansporn, ein Anreiz.
|