Das Evangelische Wort

Sonntag, 10. 04. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Dietrich Bonhoeffer“

von Pfarrer Werner Geißelbrecht (Lutherische Stadtkirche Wien)

 

Gestern vor 60 Jahren, am 9. April 1945, ist er hingerichtet worden. Die Nazis haben sich eines unangenehmen Zeitgenossen entledigt. Heute gilt er vielen als eine Art evangelischer Heiliger: Dietrich Bonhoeffer.

-     Ein weitsichtiger Denker, der Antijudaismus und den Führergedanken schon ganz früh als unvereinbar mit dem christlichen Glauben entlarvt und auch öffentlich scharf kritisiert hat.

-     Ein empfindsamer und zugleich kraftvoller Seelsorger, der den Menschen in finsteren Zeiten Mut gemacht hat zu einem aufrechten, selbstbestimmten Leben.

-     Ein politischer Mensch, der sich leidenschaftlich und konsequent eingesetzt hat für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung unter den Menschen – über alle Grenzen von Nationalität und Religion hinweg.

Kein Wunder, dass dieser Mann den Nazis ein Dorn im Auge war – als Theologe, als Pfarrer, als Widerstandskämpfer.

Dietrich Bonhoeffer – ein Heiliger? Auch wenn diese Bezeichnung für evangelische Ohren ungewöhnlich klingt, sie hat schon ihre Berechtigung. Im Sinne des Augsburger Bekenntnisses von 1530, in dem die Reformatoren ihren Glauben dargestellt haben. Dort heißt es in Artikel 21:

„Vom Heiligendienst wird von den Unseren so gelehrt, dass man der Heiligen gedenken soll, damit wir unseren Glauben stärken, wenn wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren und auch wie ihnen durch den Glauben geholfen worden ist; außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen, ein jeder in seinem Beruf.“

In Zeiten der Verblendung klar zu sehen und richtig zu handeln – auch gegen den Mainstream – ja, das ist eine Gnade. Auch wenn man sich damit denen aussetzt, die keine Gnade kennen. Ein fester Glaube kann die Freiheit schenken, die notwendig ist, solches zu wagen. Das lässt sich erkennen im Leben und auch im Sterben des Dietrich Bonhoeffer. Darum können wir uns auch ein Beispiel nehmen an ihm, keine Frage.

Trotzdem zögere ich, ihn als Heiligen zu bezeichnen. Schon deshalb, weil so leicht geschieht, was der Liedermacher Konstantin Wecker einmal über „Die Weiße Rose“ singt, jene andere Widerstandsgruppe um Sophie und Hans Scholl:

Jetzt haben sie euch zur Legende gemacht

und in Unwirklichkeiten versponnen

denn so ist einem – um den Vergleich gebracht –

das schlechte Gewissen genommen.

Heilige heben wir nur zu gern in den Himmel. Und dort sollen sie dann auch bleiben, in sicherem Abstand zu unserem eigenen Leben, ohne Kontakt zu dieser unserer unheiligen Welt. So aber berauben wir sie gerade des kritischen und heilsamen Potentials, das in ihnen schlummert.

Das ist ein ganz pragmatischer Grund, warum ich selbst Dietrich Bonhoeffer lieber nicht als Heiligen bezeichne. Dazu kommt, dass er sich auch selbst nicht als solchen gesehen hat. Im Gegenteil. Als er sich dem politischen Widerstand anschloss, der auch bereit war, Hitler mit Gewalt zu beseitigen, hat er sich vom Streben nach eigener Unschuld bewusst verabschiedet.

In seinen Augen heiligt der Zweck nicht jedes Mittel. Es wäre aber unverantwortlich, sich in ethischen Konflikten mit der Frage zu begnügen: Wie bleibe ich moralisch rein, wie behalte ich eine weiße Weste? Nein, die Frage muss lauten: Welches Handeln ist hier und jetzt von mir gefordert? Was dient letztlich der Liebe und dem Leben – was dient also Gott und den Menschen? Und wer so fragt, muss bereit sein, notfalls auch Schuld auf sich zu laden, um das Schlimmste zu verhindern.

Dietrich Bonhoeffer war nicht darauf aus, als Heiliger zu gelten. Gerade das hat ihm die Freiheit gegeben, sich der Not seiner Zeit zu öffnen, auf sein Gewissen zu hören, verantwortlich zu entscheiden und entschlossen zu tun, was er als richtig erkannt hat.

Was ich uns wünsche, wenn wir uns erinnern an diesen unheiligen Heiligen? – Dass ein Funke von seiner Freiheit, seinem Mut und seiner Menschenliebe auch auf uns überspringt. Und von dem tiefen Gottvertrauen, das aus seinen bekannten Zeilen spricht:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist bei uns am Abend und am Morgen

und ganz gewiss an jedem neuen Tag.