Das Evangelische Wort

Sonntag, 08. 05. 2005,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Ingrid Tschank

 

 

Der Muttertag ist kein kirchliches Fest. Aber das Mütterliche gehört in die Kirche und gehört zum christlichen Glauben, weil Gott das Ganze von Himmel und Erde umfasst. Er ist den Menschen ein Vater und eine Mutter, oder er ist gar nicht.

 

Der Muttertag ist von seiner Entstehung her ein Friedensfest. Er hätte somit gute Voraussetzungen gehabt, in den Kreis der bedeutenden kirchlichen Feste und Gedenkfeiern aufgenommen zu werden. Es ist aber anders gekommen. Heute hat das kommerzielle Interesse den Muttertag fest im Griff. Inzwischen wird vielerorts zwar nicht mit Kritik am Muttertag gespart. Diesen Tag nicht zu begehen, das kann sich aber die Mehrheit doch nicht vorstellen.

 

Und so hat alles begonnen.

Nach den ersten Anfängen in England, kam es 1870 in Amerika zur ersten größeren Kampagne für den Muttertag. Die Dichterin und Frauenrechtlerin Julia Word Howe startete in Philadelphia eine Initiative für einen Mütter-Friedenstag. Mit den Frauen, die ihre Männer und Söhne im amerikanischen Bürgerkrieg verloren hatten, verstand sie diesen Tag als eine Absage an Krieg, Militärgewalt und Männerherrschaft. In ihrem Aufruf schrieb sie:

 

„Steht auf, Frauen dieses Tages! Steht auf alle Frauen, die ihr ein Herz habt! Sprecht mit fester Stimme: Wir wollen nicht, dass die großen Fragen von unbedeutenden Instanzen entschieden werden. Unsere Ehemänner sollen nicht heimkehren zu Fürsorge und Beifall, wenn sie nach dem Blut der Gefallenen riechen. Unsere Söhne sollen nicht von uns genommen werden, um all das zu verlernen, was wir sie an Liebe, Barmherzigkeit und Geduld gelehrt haben. Wir, die Frauen des einen Landes, haben zuviel Zärtlichkeit für diejenigen eines anderen Landes, als dass wir unseren Söhnen erlauben könnten, ausgebildet zu werden, um deren Söhne zu verletzen. Vom Innersten der verwüsteten Erde steigt eine Stimme auf zusammen mit der unsrigen, die ruft: Legt die Waffen nieder! Das Schwert des Mordens ist nicht die Waage der Gerechtigkeit. Blut wischt nicht unsere Schande weg noch zeigt die Gewalt rechtmäßigen Besitz an. So wie Männer oft Pflug und Amboss verlassen, um dem Kriegsruf zu folgen, so lasst die Frauen jetzt alles zurücklassen, was zu Hause bleiben kann, für einen großen und ersten Tag des Rates. Lasst sie als erste zusammenkommen als Frauen, um die Toten zu betrauern und ihrer zu gedenken. Lasst sie dann feierlich eine Beratung miteinander abhalten darüber, wie die große Menschenfamilie in Frieden leben kann…“ (Übersetzung von Renate Hingst)

 

Es wäre schön, den Muttertag als einen Tag zu feiern, an dem daran erinnert wird, dass was jede und jeder etwas dazu beitragen kann und muss, damit die große Menschenfamilie in Frieden leben kann. Die große Menschenfamilie lebt aber nur so friedlich wie die kleine Menschenfamilie es tut. Die Welt als eine Familie besteht aus unzähligen kleinen Familien, in der jeder von uns lebt und Verantwortung trägt für sich und andere trägt.

Es ist schön, einen Mütter-Friedenstag zu feiern. An so einem Mütter-Friedenstag darf es selbstverständlich eine gute Torte geben und auch Blumen und liebe Worte. Im Mittelpunkt wünsche ich mir jedoch nicht so sehr das Dankeschön für die Hausarbeit und die Erziehung der Kinder, sondern ich wünsche mir Achtung und Anerkennung – auch gesellschaftlich und politisch - für den Beitrag, den Frauen und Mütter für das Zusammenleben der Familien leisten, unentgeltlich und ehrenamtlich.

 

Ein Mütter-Friedenstag tut auch der Kirche gut, denn der christliche Gott ist ein väterlicher und mütterlicher Gott und er ist vor allem ein Gott des Friedens und der Liebe.

 

Es ist das Verdienst der Frauenbewegung, dass wir heute auch im Christentum der weiblichen Seite Gottes mehr Aufmerksamkeit schenken. Die Feministische Theologie hat dazu unseren Blick geschärft. Im 5. Buch Mose (32, 11) wird Gott als Adlermutter bezeichnet und beim Propheten Jesaja (42, 14) ist an einer Stelle zu lesen, dass Gott wie eine Gebärende schreit, an einer anderen, dass er wie eine Mutter tröstet (66, 13). Jesus kennt auch das mütterliche Bild Gottes und er erzählt im Matthäusevangelium (23, 37), dass Gott seine Kinder sammelt wie eine Henne ihre Küken.

 

In der kirchlichen Tradition blieben die weiblichen Gottesbilder über Jahrhunderte im Hintergrund. Es wurden vor allem männliche Bilder von Gott aus der Bibel aufgegriffen: Gott der König, der Herrscher, oder Gott der Vater, der Hirte.

 

Auf diese Seite Gottes zu hören und als Mann und als Frau davon zu lernen, ist mir in meiner Arbeit als Seelsorgerin wichtig geworden. Aber nicht etwa, weil wir Frauen und Mütter bessere Menschen wären - wahrlich nicht - aber deshalb, weil der Gott an den wir glauben ein Gott der Liebe, ein Gott der Barmherzigkeit und ein Gott des Friedens ist.

 

Er ist ein liebender Gott. Er gönnt uns das Leben, und zwar das Leben in seiner gesamten menschlichen Fülle. Unser Leben soll mütterlich und väterlich sein, weiblich und männlich, schwesterlich und brüderlich, machtvoll und zärtlich. Beides brauchen wir, beides gehört zu Frauen und zu Männern.

Auf die weiblichen und mütterlichen Eigenschaften Gottes zu achten bedeutet für mich aber zugleich auch, darauf aufmerksam zu machen, was Frauen und Mütter im Kleinen und im Großen tun: für das gemeinsame Leben in den Familien, für den Zusammenhalt in der Gesellschaft, für das Heranwachsen der Kinder, für die Betreuung der Alten und Kranken, und nicht zuletzt auch für den Glauben und für die Kirche.

 

Ich wünsche ihnen, liebe Frauen und Mütter, einen erfüllenden Muttertag, vor allem Frieden in ihrer Familie, Achtung vor ihren persönlichen Bedürfnissen und Anerkennung für alles, was sie gerne tun.