Das Evangelische WortSonntag, 29. 05. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von Pfarrerin Johanna Zeuner Das Thema Gewalt ist in aller Munde. Gewalt an Schulen. Fragt man Lehrer,
so sagen sie, schlimmer sei es nicht geworden in den letzten Jahren.
Das ist Selbstschutz, vielleicht auch objektive Wahrnehmung.
Vielleicht, wie so oft nimmt die Öffentlichkeit erst verspätet
wahr, was für die Menschen, die vor Ort arbeiten schon lange Realität
ist. Vielleicht wird in unseren Schulen auch nur sichtbar, was sich
sonst im Alltagsgetriebe verläuft, was übersehbar und überhörbar
ist. Gewalt in Schulen. Kein eigenes Thema eigentlich - sondern eine populäre Version des nicht so populären Themas ‚Gewalt im täglichen Leben’. Ich wohne umgeben von drei Kindergärten, einer Kirche und drei Schulen, darunter eine Hauptschule, am sozialen Brennpunkt Leberberg in Wien. Schulbeginn und Schulende sind deutlich gekennzeichnete laute Wegstrecken. Vor allen Dingen der Schulschluss scheint für viele Kinder wie eine Befreiung zu sein. Meine Fenster sind wohl deshalb von einem Eisengitter geschützt, das die fliegenden Bälle nach Schulende abfängt. Gewalt an Schulen, wo kommt die her ? Die Antwortsuche ist nicht weiter schwer. Zuwenig Zuwendung daheim und
Geltungsbedürfnis - sagen mir Schüler -, sich kenntlich zu machen,
kennzeichnen, das sehe ich selbst. Kollegen weisen mich darauf hin,
dass die Unzufriedenheit über eine unsichere Zukunft der
Erwachsenen von morgen Ausdruck findet in den Aggressionen gegen
Mitschüler und Lehrer. Letztendlich und nicht unwesentlich sind
auch dies Gründe: Zuwenig Bewegung und zuviel Medienkonsum. Da
bringen sich Tom und Jerry und wie sie sonst noch heißen so eben
einmal um. Auferstehung? Kein Problem, im Programm der
Zeichentrickfilme ist das Normalität. Wer kennt sie nicht, die
Bilder von Tieren, die platt gedrückt wie eine Briefmarke am Boden
liegen und im nächsten Moment wieder aufspringen wie eine Feder.
Kleines Spannungsmoment Tod. - Was es heißt, wirklich zu leiden,
was es heißt, Opfer zu sein thematisieren diese Filme nicht. „Ich
schieß dich tot“, sagt ein Vierjähriger. Ja, das ist ein altes
Kinderspiel. Und in der Mythenwelt der Vorschulkinder auch überwindbar.
Aber wenn unsere Kinder diese Mythenwelt, die in der Medienwelt
fortgesetzt wird bis ins hohe Erwachsenenalter nicht mehr
unterscheiden können vom wirklichen Leben, wird es schwer. Wenn die
Brutalität, die Wirklichkeit unseres Alltags ist, vertauschbar wird
mit Spannung und Kick. Wenn das Gefühl dabei verloren geht für den
anderen, dann haben wir eine Grenze überschritten, von der ich
vermute, dass sie nicht mehr zurückzuschrauben ist. Und wenn wir
diese Grenze überschritten haben, was hilft dann? Ich habe mit
Kindern Ruhe- und Stilleübungen gemacht, eher durch Zufall, beim
Thema Buddhismus und im Kindergarten. Laute Kinder werden still, das
ist eine tolle Erfahrung. Stille kann in dieser Welt, die Lautes und
Starkes bevorzugt zum Erlebnis werden, kann auch einen Kick haben.
Daran möchte ich weiterarbeiten. Gestern hatte ich Konfirmation -
jedes Jahr wieder bin ich überrascht, dass Jugendliche an diesem
Tag in ihren eigenen Worten und Gebeten vom Frieden reden. Mir ist
deshalb die Bergpredigt wichtig geworden für diesen Tag. Noch einmal den erwachsen Werdenden ins Leben Gehenden sagen: Selig sind die Sanftmütigen, die Friedfertigen, selig seid auch ihr. Einmal noch den Jugendlichen sagen, ihr werdet gebraucht in dieser Welt als wache Christen. Ich habe keine Lösung zum Thema Gewalt. Aber ich ahne, dass wir aufmerksam bleiben müssen, wenn Grenzen überschritten werden, dass es unsere Pflicht ist, nicht wegzuschauen, denn :Jesus Christus spricht: „Wachet und betet“.
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